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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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Jahren auf dem Gehsteig vor dem Times Building gewartet hatte. »Ich wechsle das Geschäftsfeld, Harry«, hatte er gesagt. »Illegal. Ich brauche einen Partner.« Geiger hatte Harry kaum gekannt, doch er hatte ihm in einem zentralen Bereich seines Lebens sein Vertrauen angeboten … und Harry hatte eingewilligt. Das seltsamste aller Paare – zusammen allein.
    Harry verzog das Gesicht zu einem wachsamen Spähen. »Was für eine Art Job?«
    »Keine Sorge, Harry. Kein IR. Damit bin ich fertig. Komplett. Ich mache nun Möbel, Harry – und ich brauche jemanden, der sie für mich an den Mann bringt.«
    »Du machst Möbel? «
    »Ich verstehe viel von Holz.«
    »Seit wann?«
    »Seit ich ein Junge war. Mein Vater hat es mir beigebracht.«
    Harrys Verstand schlug unwillkürlich einen Purzelbaum. »Dein … Vater? « Geiger sprach niemals über persönliche Angelegenheiten. »Du bist doch wirklich Geiger, oder?«
    »Bist du interessiert, Harry?«
    »Geiger … ich verstehe nicht das Geringste von Möbeln.«
    Geiger erhob sich vom Sofa. So kam er Harry dünner vor. Nicht wie ein entschlossener Diätesser oder jemand, der eine Krankheit überstanden hat. – Es war eher, als hätte Geiger in jener Nacht unter der Oberfläche des Hudson etwas abgelegt; als hätte der Fluss etwas von ihm genommen.
    »Du konntest dich überall schnell einarbeiten, Harry. Denk darüber nach.« Er ging zur Tür. »Meine E-Mail-Adresse lautet Oldwood – in einem Wort – at G-Mail Punkt com. Sende mir deine Handynummer. Ich melde mich.« Er erreichte die Tür. »Und noch was, Harry – ich glaube, du kannst hier bleiben, wenn du willst. Ich bezweifle, dass sie nach dir suchen. Die Videos sind verbreitet. Jeder hat sie gesehen. Du bist für sie nun von untergeordneter Bedeutung.« Er öffnete die Tür. Wie bei allem, was er tat, hatte die Bewegung eine schlichte Eleganz an sich. Einen Hauch von Tanz. Eine Andeutung von Schmerz.
    »Geiger …«
    »Ja?«
    »Es tut wirklich gut, dich zu sehen.«
    Harry war der einzige lebendige Mensch, der wusste, dass das nahezu unmerkliche Krümmen von Geigers Lippen am äußersten Rand möglicherweise ein Lächeln war. Geiger trat hinaus in die Dunkelheit und schloss die Tür hinter sich. Er machte dabei keinen Laut.

6
    Im Holz lag die Welt – Stärke, Energie, Verfall, Textur, Aroma. Die Namen schufen einen schmackhaften musikalischen Prunk. Zuckerahorn, Hemlocktanne. Im Holz lag die Vollendung und wartete darauf, aufgespürt zu werden. Palisander, Eisenholz, Hickory. Im Holz lag die Wahrheit, und vor allem das machte die Arbeit daran zu einer Schwester des Informationsabrufs – die Vorbereitungen und Strategie, um etwas neu zu erschaffen, was bereits ausgeformt war; die Erkundung von Charakteristika – Stärke, Verformbarkeit, Bruchpunkt; die Anwendung von Methodik – Kraft, Geduld, Finesse. Seine Hände und seine Vision waren seine Hilfsmittel – er sah das Ende, doch den Weg ließ er sich selbst offenbaren. Ein Weg, ein neues Leben zu finden. Fichte, Traubenkirsche, Tigerwood.
    »Willow, weep for me … Willow, weep for me …«
    Billie Holidays geschmeidige Stimme entströmte den Hyperion-Boxen. Geiger setzte den Beitel an eine Seite der halbmondförmigen Vertiefung an, die er in den Mahagonibalken getrieben hatte. Er trug nur eine Turnhose. Wenn möglich, ersparte er seinem Quadrizeps die Reibung. Die gezackten Narben, die Dalton hinterlassen hatte, standen in grellem Kontrast zu dem eleganten Bildwerk, das sein Vater jahrelang am Kamin der Hütte in Geigers rückseitige Oberschenkelmuskeln und Waden eingeschnitten hatte. Geiger versetzte dem Beitel einen Schlag mit dem Buchenhammer und trug einen Span ab. Er würde dafür sorgen, dass die Intarsie genau passte.
    »Listen to my plea … Hear me, willow, and weep for me …«
    Früher hatte er während der Arbeit ausschließlich Sängerinnen gehört. Daltons Folter hatte eine Tür geöffnet, und sein Vater war hervorgebrochen. Nun regte sich etwas anderes, fast Substanzloses, wie ein Seenebel am Rande seiner Wahrnehmung – zerbrechlich, geisterhaft, feminin –, und er sättigte die Luft mit Stimmen – Holiday, Nina Simone, Bonnie Raitt, Joplin. Vielleicht halfen sie, das Wesentliche hervorzuholen.
    Wie der Klagegesang eines Engels trieben die Noten an die hohe Decke. Sein neues Haus war 1912 als pfingstkirchlerische Kapelle errichtet worden und hatte seither viermal den Besitzer gewechselt. Geiger war ein Foto an einem

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