Der Facebook-Killer: Thriller (German Edition)
derselbe Raum, eine dicke Holztür mit Metallscharnieren, ein zugemauertes Fenster in halber Höhe, einen Stuhl, der schon bessere Zeiten gesehen haben muss. Ihre Blicke wandern weiter, erforschen jeden Zentimeter, den sie in Ihrer unbequemen, starren Lage sehen kann. Unter Schmerzen dreht sie den Kopf nach links und erkennt vage Flecken an der Wand. Ihr Blick ist wie ein falsch kalibriertes Fernglas, sie kneift die Augen zusammen und versucht ihn scharf zu stellen. Langsam nehmen die hellen Flecken Form an - ein Anblick des Grauens, der ihr das Blut in den Adern gefrieren und den Herzschlag aussetzen lässt.
Sie erkennt Fotos und Scans an der Wand. Zuerst sind es nur schemenhaft Gesichter, Gesichter von Frauen. Irgendwelche Friedhofsaufnahmen, von Grabsteinen oder so. Profilbilder wie in Facebook und anderen Communities, passbildähnlich. Ehemals lächelnde Gesichter, teilweise zerkratzt, teilweise mit einer roten Flüssigkeit bis zur Unkenntlichkeit beschmiert ... durchgestrichen ... Sie erkennt andere, grausame Bilder von Frauenleichen, abgetrennten Gliedmaßen, aufgeschnittenen Leibern und blutigen Organen. Detailaufnahmen von zerschmetterten Köpfen … und Ganzkörperfotos strangulierter Frauen. Ihr stockt der Atem. Sie erkennt einige der Gesichter, die sie in den Zeitungen gesehen hat. Alle Pariser Tageszeitungen waren voll von Frauenmorden in den letzten Jahren ... Panik ergreift sie, es gibt nichts mehr schönzudenken, die Unsicherheit wird zur Gewissheit. Sie ist schockiert, hat Todesangst, ihr ganzer Körper zittert, und Tränen der Verzweiflung rinnen aus ihren verquollenen Augen. Der größte Schock steht ihr allerdings noch bevor, während der Blick ihrer verletzten Augen langsam die Bilderwand entlangwandert.
Ganz am Ende der Schreckensgalerie entdeckt sie ihr eigenes Bild, das ihr Freund von ihr aufgenommen und das sie in ihr Facebook-Profil eingestellt hatte. Es grinst sie an, fast höhnisch lächelt ihr eigenes Gesicht zu ihr herüber, scheint sich über sie lustig zu machen. Es ist das einzige unbeschadete Bild, nur einige Tropfen der roten Flüssigkeit verunzieren es, aber es ist weder zerkratzt noch durchgestrichen. Der Schock durchzieht jeden Nerv ihres Körpers, lässt sie sich verkrampfen. Wie hat sie nur so naiv sein können? Sie hat ein Date mit dem Serienmörder vereinbart. „Vincent“ gibt es gar nicht – der ach so nette Mann aus dem Café, ihr neuer, ihr letzter Schwarzer Mann, hat sich hinter seinem Profil versteckt. Alles war geplant. Die Wahrheit steht glasklar vor ihr: Vincent ist Gabriel und Gabriel ist Vincent, und wahrscheinlich ist auch Gabriel nicht sein echter Name. Er hat den gesamten Abend genau geplant. Die Worte, die er an sie gerichtet hat, die Schmeicheleien und Komplimente. Wahrscheinlich hat er ihr in einem unbemerkten Augenblick KO-Tropfen ins Glas getan. Wie sonst hätte sie so schnell den Überblick und ihre Sinne verlieren können? Wie hätte er sie so leicht erwischen können?
Sie schämt sich. Nie im Leben hätte sie sich solche Naivität und Dummheit zugetraut, doch jetzt ist es zu spät …
Definitiv.
Sie hört ihn hereinkommen.
1
Winter in der Stadt der Liebe
22.12.2010
Préfecture de Police
Rue de la Cité, Paris
Commandant de Police René Bavarois, stellvertretender Leiter der Pariser Police Judiciaire, hatte Geza Wolf zu Ehren einen kleinen Empfang organisiert: im zweiten Obergeschoss des im Neorenaissancestil errichteten Gebäudes in der Rue de la Cité, in der sogenannten Großen Lage, deren altertümliche dunkle Stühle an der Wand hochgestapelt waren, um Platz für die Anwesenden zu schaffen. Das lag nicht nur daran, dass er seit vielen Jahren ein Fan ihrer
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