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Der Fälscher aus dem Jenseits

Der Fälscher aus dem Jenseits

Titel: Der Fälscher aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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einer der größten Dummköpfe in die Geschichte der Betrügereien einging.
     

Thérèse Humberts Geldschrank
     
    Ein wutschnaubendes Individuum platzte in den großen Saal des Schlosses von L’Œillet bei Toulouse, oder vielmehr in den Gemeinschaftsraum des schlecht geführten Bauernhofes, den sein Besitzer so getauft hatte. Er schwenkte ein Bündel Papiere.
    »Monsieur d’Aurignac, zahlen Sie mir die Wechsel aus. Die sind schon seit einem Monat überfällig!«
    Der so angeschriene Mann ließ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken.
    »Ich bezahle Sie ja, mein Guter.«
    »Womit? Sie schulden doch allen Geld.«
    »Aber nicht mehr lange. Kommen Sie näher. Dann verrate ich Ihnen ein Geheimnis, aber nur Ihnen allein.«
    Der Gläubiger, ein wohlhabender Bauer, gekleidet wie ein typischer Landbewohner um 1860, war verwirrt über die Selbstsicherheit dieses Mannes, einem angeblich ruinierten Adligen mit feinen städtischen Manieren. Letzterer senkte die Stimme.
    »Also... Madame d’Aurignac ist nicht wirklich meine Mutter. Tatsächlich ist das Madame Mont-Malette de Castel, eine Schlossherrin bei Toulouse, deren Alleinerbe ich bin. Die Belege dafür befinden sich gleich hier (dabei zeigte er auf ein Möbelstück, das irgendwie mittelalterlich aussah, mit komplizierten Eisenbeschlägen und abgesperrtem Schloss), in dieser Truhe.«
    Offenbar beeindruckt fixierte der Bauer das Möbel. »Nun? Gewähren Sie mir einen Aufschub? Madame Mont-Malette de Castel hat ein hohes Alter erreicht. Bei ihrem Tod kann ich Ihnen alles mit Zins und Zinseszins zurückzahlen.«
    »Na ja, wenn das so ist...«
    Daraufhin legte Monsieur d’Aurignac den Arm vertraulich um die Schultern seines Gläubigers und begleitete ihn zur Tür hinaus. Als er zurückkehrte, rannte ein zehnjähriges Mädchen, das alles mit angesehen hatte, auf ihn zu.
    »Stimmt es, Vater, dass wir eines Tages reich werden?« Ihr Vater lächelte. Er nahm einen großen Schlüssel aus dem Büfett und steckte ihn in das Schloss der Truhe. »Viel besser, Thérèse. Schau!«
    Knarrend hob sich der Deckel und der Inhalt der Truhe kam zum Vorschein. Sie enthielt viel Staub und eine leere Flasche.
    »Es ist nicht wichtig, reich zu sein. Man muss nur alle glauben lassen, dass man es ist. Verstehst du?«
    Ja, das verstand Thérèse. Die Szene mit der Truhe sollte sie nie vergessen. Später wiederholte sie sie auf ihre Weise. Doch während ihr Vater lediglich gerissen war, war sie ein regelrechtes Genie. Sie sollte eine der größten Betrügerinnen aller Zeiten werden.
     
    Thérèse, die zukünftige Thérèse Humbert, wurde 1856 geboren und wuchs unter schwierigen familiären Verhältnissen auf. Ihr Vater war ein uneheliches Kind, das von seiner Mutter nicht anerkannt wurde. Darum blieb ihm nichts anderes übrig, als sich nach seinen beiden Vornamen zu nennen: Guillaume Auguste. Erst als er achtunddreißig Jahre alt war, erklärte sich seine Mutter, Madame Daurignac, endlich bereit, ihn als ihr Kind anzuerkennen. Damit wurde er zu Guillaume-Auguste Daurignac. Und wo er schon einmal dabei war, legte er sich auch gleich eine Adelspartikel zu und behauptete, Graf zu sein. Adel verpflichtet, darum wurde der Bauernhof namens L’Œillet bei Toulouse, auf dem er lebte, gleich in den Rang eines Schlosses, das »Chateau de L’Œillet«, erhoben.
    Trotzdem lebte die Familie von der Hand in den Mund. Der »Graf d’Aurignac« war Heiratsvermittler und dilettierender Winzer, beides Tätigkeiten, die wenig abwarfen. Dennoch verlebte Thérèse eine glückliche Kindheit. Sie himmelte ihren lebenslustigen, geistreichen Vater an und teilte dieses Gefühl mit ihren Geschwistern Marie, Emile und Romain. Von Moral hatten sie nur eine vage Vorstellung. Als es später ums Ganze ging, stand die ganze Familie geschlossen hinter Thérèse.
    Thérèse wuchs heran. 1877 war sie Anfang zwanzig. Einige Jahre zuvor hatten sich die d’Aurignacs mit ihren neuen Nachbarn, der Familie Humbert, angefreundet. Gustave Humbert, der eine Ferienwohnung nicht weit von L’Œillet besaß, verbrachte dort immer den Sommer. Als er eines Tages ein Fass Wein von Guillaume d’Aurignac kaufte, lernten sich die beiden Familien kennen.
    Gustave Humbert war nicht irgendwer, sondern eine wichtige, sogar bedeutende Persönlichkeit, einer der angesehensten Politiker der Dritten Republik: Senator, Generalstaatsanwalt am Rechnungshof und Dozent an der juristischen Fakultät von Toulouse. Er hatte einen Sohn, Frédéric, der ohne

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