Der Fälscher aus dem Jenseits
rechte Begeisterung ein Jurastudium absolvierte und in den sich Thérèse bald verliebte.
Schön war sie eigentlich nicht. Ein Journalist beschrieb sie später folgendermaßen: »Durch ihre gebogene, gebrochene Adlernase und die viel zu lange Oberlippe gleicht sie einer Karikatur, auch das männliche Kinn kann ihrem Gesicht keine Anmut verleihen.« Doch fügte er hinzu: »Diese Frau ist zwar hässlich, aber auf eine originelle Art, und sie bezaubert durch eine seltsame Überzeugungsgabe.« Im Grunde beruhte Thérèses Charme auf ihrer Intelligenz, weshalb sich Frédéric auch bald in sie verliebte.
Hinter dieser Beziehung verbarg sich bei Thérèse keine Berechnung. Das junge Paar liebte sich ganz einfach. Sie, die ihr ganzes Leben lang gelogen hatte, sollte später sagen: »Der einzige Mensch, den ich ohne Hintergedanken umgarnt habe, war mein Mann.« Doch obwohl sie sich liebten, konnte von Heirat keine Rede sein. Dazu waren ihre Familien in Bezug auf Ansehen und Vermögen viel zu verschieden. Da erinnerte sich Thérèse d’Aurignac an die Truhe und erfand ihre erste Erbschaftsgeschichte.
Es war eine geschickt aufgebaute Geschichte. Angeblich hatte sie die Erbschaft einer Demoiselle Baylac angetreten, die das Schloss von Marcotte besaß. Das stellte ein beachtliches Vermögen dar, nur leider gab es eine Nutzungsberechtigte, Mademoiselle de La Tremoillière, die sich als besonders kleinlich erwies. Thérèse hatte zwar alle nötigen Schritte unternommen, um ihr die verlangten Dokumente vorzulegen, doch stellte sich zu ihrem Pech heraus, dass dem Standesamt beim Schreiben ihres Vornamens ein Fehler unterlaufen war, was ein Gerichtsverfahren erforderlich machte. Diese Lüge war nicht dazu bestimmt, Frédéric zu täuschen. Vielleicht hatte sie ihn sogar ins Vertrauen gezogen und zu ihrem Komplizen gemacht. Der einzige, der überzeugt werden sollte, war ihr zukünftiger Schwiegervater, Gustave Humbert. Und es klappte! Der Dozent an der juristischen Fakultät von Toulouse und Staatsanwalt am Rechnungshof schluckte die ganze Geschichte, ohne auch nur einen Moment daran zu denken, sie zu überprüfen. Wie alle großen Betrüger flößte Thérèse auf den ersten Blick Vertrauen ein. Nicht dass sie großen Eindruck machte. Ganz im Gegenteil, man hätte sie für alles gehalten, nur nicht für eine Intrigantin. Sie konnte sich auf bewundernswerte Weise naiv, fast dumm stellen. Sie war zögerlich, schüchtern und wirkte mit ihrem leichten Lispeln rührend. Kurz und gut, Gustave Humbert rief überzeugt: »An meine Brust, Schwiegertochter!«
Die Hochzeit fand unverzüglich im September 1878 statt. Bei der Gelegenheit zeigte die frisch gebackene Madame Humbert übrigens eine Kostprobe ihres Talents. Als der Frisör kam, um sich seine Rechnung bezahlen zu lassen, die sich auf 2000 Franc belief, schaffte sie es nicht nur, ihm kein Geld zu geben, sondern ihn auch dazu zu bringen, die Miete für alle Kutschen des Hochzeitszuges vorzustrecken, die er nie zurückgezahlt bekam.
Das Paar zog nach Paris in die Rue Monge im eher volkstümlichen Viertel Mouffetard. Da sie kein Geld besaßen, nahmen sie eine Hypothek auf Marcotte auf, was nicht viel kostete, da dieses Anwesen ja nur in Thérèses Fantasie bestand. Von dem Moment an waren die jung verheirateten Komplizen und ergänzten sich zugegebenermaßen hervorragend. In die Geschichte ist zwar nur der Name Thérèse Humbert eingegangen, doch ist dies nicht ganz gerecht. Man sollte besser sagen: das Ehepaar Humbert. Während sie lügen konnte wie sonst kein anderer, kannte er sich mit dem Gesetz aus. Sie war eine geniale Schauspielerin, während er sich ebenso genial beim Anwenden juristischer Kniffe erwies.
Mehrere Jahre lang lebten sie wie Thérèses Vater mehr schlecht als recht von kleinen Betrügereien. Damit das Leben eines Menschen eine außergewöhnliche Wendung nimmt, muss das Schicksal oft nachhelfen, und das geschah auch. 1882 wurde Gustave Humbert Siegelbewahrer. Von einem Tag auf den anderen waren sie also Sohn und Schwiegertochter des Justizministers und damit eines der prominentesten Paare von ganz Paris. Das mussten sie ausnutzen!
Thérèse Humbert zögerte nicht einen Moment. Sie wollte den Trick mit der Truhe wiederholen und ein Darlehen aufnehmen, für das eine fiktive Erbschaft als Garantie dienen sollte. Allerdings war ihr bewusst, dass so etwas schwierig sein würde. Es drehte sich dieses Mal nicht nur darum, einen Rosstäuscher aus der Provinz oder einen von
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