Der Fälscher aus dem Jenseits
der Liebe zu seinem Sohn geblendeten Vater übers Ohr zu hauen. Ein Erbschaftsschwindel ist eine der schwierigsten Betrügereien überhaupt, weil man dabei Profis hereinlegen muss: Bankiers, Notare und Geldverleiher. Solche Leute sind alles andere als naiv und zeigen sich besonders argwöhnisch, wenn es darum geht, Geld für eine erwartete Erbschaft vorzustrecken. Sie überprüfen dann gewissenhaft, ob die Ansprüche des Kreditnehmers auch wirklich existieren und gültig sind.
Genau hier bewies Thérèse Humbert ihre Genialität. Um alle Nachforschungen zu verhindern, plante sie einen frei erfundenen Prozess zwischen ihr selbst und einer Gegenpartei, die ihr das Recht auf die Erbschaft streitig machen sollte. Dabei wollte sie alles so arrangieren, dass ihre Ansprüche besser aussahen als die der Gegenseite. Wenn beide Seiten viel Geld für so ein Verfahren ausgeben würden, würde doch niemand an der Existenz dieser Erbschaft zweifeln? Und wenn Thérèses Ansprüche besser wären, würde kein Geldverleiher zögern.
Hier kommt nun die Geschichte der Crawford-Erbschaft, die bald in ganz Frankreich die Runde machen sollte. Henry Robert Crawford, ein steinreicher Amerikaner, war ein guter Freund der Familie d’Aurignac und sogar der Liebhaber von Thérèses Mutter. Am 6. September 1877 setzte er in Nizza ein Testament auf, in dem Thérèse, seine im Ehebruch gezeugte Tochter, zur Universalerbin seines Vermögens eingesetzt wurde: hundert Millionen Franc in französischen Inhaberaktien. Kurz darauf starb er.
Thérèse wollte die Summe schon in Empfang nehmen, als ein zweites Testament auftauchte. Darin hinterließ Henry Robert Crawford sein Vermögen Marie d’Aurignac, Thérèses Schwester, und seinen beiden Neffen, Henry und Robert Crawford. Thérèse erhielt dagegen nur noch eine Rente auf Lebenszeit über 30 000 Franc. Ein solcher Fall war im Gesetz vorgesehen. Wenn es zwei Testamente gab, galt immer das neuere. Leider war Henry Crawford, wie viele Millionäre, ein Exzentriker. Er hatte beide Testamente am selben Tag verfasst. Gleich nachdem er Thérèse zur Erbin eingesetzt hatte — oder vielleicht auch kurz davor —, war er in Nizza zu einem anderen Notar gegangen, um die zweite letztwillige Verfügung aufzusetzen.
Da das juristische Problem unlösbar schien, kamen die beiden Parteien zu einem Vergleich. Das Vermögen fiel Thérèse Humbert zu, nur sollte sie davon sechs Millionen an Henry und Robert Crawford auszahlen. Kurz nachdem die Abmachung unterschrieben war, widerriefen die beiden Neffen sie wieder und versuchten zu verhindern, dass Thérèse Humbert die Erbschaft antrat.
So weit waren die Dinge gediehen, als das Ehepaar Humbert die Geschichte Anfang 1883 zum ersten Mal seinen Freunden und Bekannten erzählte. Zufällig hielten sich die beiden Neffen Crawford damals in Paris auf. Thérèse und ihr Mann schickten ihnen ihren Anwalt, der sich zur angegebenen Adresse begab, eine Suite in einem Luxushotel. Er wurde von zwei Männern mit amerikanischem Akzent empfangen. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um Romain und Emile d’Aurignac, Thérèses Brüder, die diese Rolle gern spielten.
»Was wollen Sie hier, Monsieur?«
»Sie darum bitten, das Abkommen, das Sie mit Madame Humbert unterzeichnet haben, einzuhalten.«
»Kommt gar nicht in Frage! Wenn man uns hier zu Lande so behandelt, fahren wir nach Amerika zurück und kommen nie wieder.«
Gesagt, getan, sie verließen das Hotel und nahmen den Zug nach Le Havre. Bevor sie jedoch ein Schiff bestiegen, suchten die Pseudo-Amerikaner dort noch einen Anwalt auf, Monsieur Parmentier, übertrugen ihm die Verantwortung für ihren Prozess und beauftragten ihn, in Paris alle nötigen Anwälte anzuheuern. Das war ein genialer Streich, denn von da an sah niemand die Crawford-Neffen je wieder, ohne dass dies weiter verwunderlich erschien. Und die Pariser Anwälte zogen die Ehrlichkeit ihres Kollegen aus Le Havre nie in Zweifel. Die überhaupt nicht existierende Gegenpartei hatte damit auf großartige Weise Gestalt angenommen, und da sie offensichtlich im Unrecht war, konnte Thérèse ihren Prozess gar nicht verlieren.
Monsieur Parmentier war sogar so anständig, diese im Voraus verlorene Sache zunächst abzulehnen.
»Ihren Fall kann ich nicht übernehmen, Messieurs. Sie haben dieses Abkommen unterschrieben. Damit haben Sie nicht die geringste Chance.«
Vielleicht hegte er sogar einen Verdacht. Wenn jemand vor Gericht ziehen will, obwohl er sicher ist zu
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