Der Fälscher aus dem Jenseits
verlieren, steckt oft etwas dahinter. Doch Thérèse Humbert hatte alles eingeplant. Die verkleideten Brüder enthüllten Monsieur Parmentier, sie seien auf das dem Anschein nach für sie unvorteilhafte Abkommen nur eingegangen, weil mündlich abgesprochen war, dass Robert Crawford Marie d’Aurignac heiraten sollte. Doch habe diese die Verlobung inzwischen aufgelöst. Natürlich würden sie ihren Prozess verlieren, doch wollten sie sich vor allem an Thérèse Humbert rächen. Diese sollte so spät wie möglich in den Genuss ihrer Erbschaft kommen. Einer der beiden Brüder schloss mit seinem starken Akzent: »Dafür sind wir bereit, alle Verfahrenstricks auszuschöpfen.«
Und, mühsam nach den richtigen französischen Worten suchend, fügte der andere noch hinzu: »Das Geld ist unwichtig. Wir sind reich, steinreich. Sie bekommen alle Mittel, die Sie brauchen.«
Daraufhin konnte Parmentier nicht mehr ablehnen. Die Beweggründe der Crawfords waren einleuchtend. Es handelte sich um eine Art Rache, die sie sich bei ihrem Vermögen erlauben konnten, und dem Anwalt winkte nebenbei die Aussicht auf ein beträchtliches Honorar. Also machte er sich an die Arbeit.
Der Prozess wurde eingeleitet und schon bald kursierte in den besseren Kreisen der Pariser Gesellschaft das Gerücht, die Tochter des Siegelbewahrers, Thérèse Humbert, habe hundert Millionen in Gold geerbt. Das Geld gehöre ihr schon fast, es sei sogar schon bei ihr zu Hause in einem Safe hinterlegt. Leider könne sie es nicht anrühren, weil ihr zwei übel gesinnte Amerikaner einen Prozess angehängt hätten, den sie aber auf jeden Fall verlieren würden.
Den Mitteln, die die Crawford-Neffen einsetzten, konnte Thérèse nur ihr gutes Recht entgegensetzen. Obwohl sie sich sicher war zu gewinnen, brauchte sie für ihren Prozess Geld. Wie vorhergesehen wurde sie von Finanziers umlagert. Bankiers, Notare und Geschäftsleute kamen angerannt, um ihr Geld leihen zu dürfen. Psychologisch gesehen war es einfach undenkbar, dass die Crawford-Neffen so viel Geld ausgaben für eine Erbschaft, die gar nicht existierte. Und wer wollte außerdem an der Ehrlichkeit der Schwiegertochter des Justizministers zweifeln?
Damit war der Grundstein zu einem endlosen Gerichtsverfahren und zu Thérèse Humberts Vermögen gelegt. Als geschickter Winkeladvokat nutzte Anwalt Parmentier alle Einspruchsmöglichkeiten, die ihm das Gesetz bot. Auch Frédéric Humbert suchte nach juristischen Tricks, um die Dinge in die Länge zu ziehen. Und die ganze Zeit über bezahlten Geldverleiher aller Art, angelockt von der fantastischen Crawford-Erbschaft, immer mehr und mehr. Das sollte zwanzig Jahre lang so gehen!
Mit den geliehenen Millionen zog das Ehepaar Humbert zunächst in die Rue Fortuny — so einen Namen kann man sich gar nicht ausdenken dann in einen luxuriösen Stadtpalast in der Avenue de la Grande-Armée. Gleichzeitig kauften sie ein Schloss, das Château des Vives-Eaux bei Melun, und führten einen fürstlichen Lebenswandel. Das Paar gehörte zur Pariser Prominenz und gab fürstliche Empfänge. Alle Kreditgeber prügelten sich um die Ehre, ihnen Geld vorstrecken zu dürfen, weil Thérèse Humbert ohne mit der Wimper zu zucken die höchsten Zinssätze akzeptierte. Nach drei Jahren hatten die Crawfords alle Mittel ausgeschöpft, die das französische Recht vorsah: unentschuldigtes Nichterscheinen vor Gericht, Einspruch, Nichtzuständigkeit und legitimer Verdacht. Doch am 27. Oktober 1886 verkündete der Gerichtshof schließlich das Urteil: Thérèse Humbert gewann den Prozess. Die Crawfords mussten das Abkommen einhalten. Thérèse sollte ihnen die sechs Millionen auszahlen und konnte dann frei über Henry Robert Crawfords Vermögen verfügen.
Die Geldverleiher strömten herbei, um ihr zu gratulieren und zugleich die Darlehen mit allen Zinsen zurückzufordern. Sie empfing alle mit strahlender Laune, die jedem Freude machte, und gab in ihrem Palais in der Avenue de la Grande-Armée ein unvergessliches Fest. Danach ließ das Ehepaar Humbert die Transaktion registrieren, wozu sie 120 000 Franc an Verfahrenskosten entrichten mussten (nach heutigem Geld etwa 300 000 Euro), und warteten nun darauf, den Geldschrank endlich öffnen zu dürfen.
Da ereignete sich die Katastrophe, die eigentlich vorherzusehen gewesen war: Die Crawford-Neffen, diese entsetzlichen Crawford-Neffen, gingen in Berufung! Jetzt musste man wieder warten. Und alles ging von vorne los.
Alles begann also wieder von neuem,
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