Der Fälscher aus dem Jenseits
einen großen Coup zu landen. Durch ihren Anwalt schlug sie vor, Robert Crawfords Anwalt solle den Inhalt des Geldschrankes überprüfen. Doch letzterer erhielt von seinem Klienten einen Brief, den in Wirklichkeit Romain d’Aurignac geschrieben hatte und in dem ihm verboten wurde, die Gesamtsumme im Geldschrank zu überprüfen, weil dies als Zustimmung zu dem gemeinsamen Abkommen interpretiert werden könnte. Er sollte nur kontrollieren, ob die Zinsen der Summe vorhanden seien. An einem vereinbarten Tag zeigte ihm Thérèse Humbert 597000 Franc, die in einem versiegelten Umschlag in den Geldschrank zurückgelegt wurden.
Die Highsociety traf sich weiterhin im Palais in der Avenue de la Grand-Armée. Der Polizeipräfekt Lépine ging dort ein und aus. Dank der Immobilieninvestitionen von Thérèses Firma zählten die Humberts allmählich zu den reichsten Familien Frankreichs. Der Schwindel hatte bereits vor fünfzehn Jahren begonnen, doch das Vertrauen war immer noch nicht erschüttert. Der beste Beweis dafür war, dass manche Gläubiger die Lloyd’s baten, die Rückzahlung ihrer Kredite zu garantieren, was die große Versicherung in London auch problemlos tat.
Thérèse, die ein Gespür für Theatralik besaß, vergrößerte ihr Sympathiekapital noch dadurch, dass sie einen Brief von Robert Crawford in Umlauf brachte, in dem sich dieser besonders unverschämt über den liederlichen Lebenswandel von Madame d’Aurignac, der Frau von Guillaume-Auguste, ausließ. Das änderte im Grunde zwar nichts an der Affäre, doch ertrug Thérèse alles mit so viel Würde, dass alle ganz gerührt waren. Wieder verstrichen einige Jahre. Das Ende des Jahrhunderts rückte näher, und die Affäre um die Crawford-Erbschaft dauerte nun schon seit 1883!
Immerhin gab es jetzt erste Anzeichen für den Untergang. Zum ersten Mal fragten einige Leute, ob es die Crawfords eigentlich wirklich gibt? Girard, der Direktor der Banque d’Elbeuf, die Thérèse zehn Millionen geliehen hatte, beging 1898 Selbstmord. Das verursachte helle Aufregung. Thérèse Humbert verteidigte sich, indem sie verkündete, dass Marie d’Aurignac nun Robert Crawford heiraten wolle. Zu Hause stellte sie sogar die Aussteuer der Braut zur Schau. Einen der Hauptgläubiger, der Anzeige erstattet hatte, zahlte sie aus, worauf dieser die Klage zurückzog.
Doch es war bereits zu spät. Denn jetzt stellte der Konkursverwalter der Banque d’Elbeuf Thérèse Humbert auf einmal eine Frage, an die bis dahin noch niemand gedacht hatte: Wo wohnten eigentlich die Crawfords? Tatsächlich wurde ihnen die Post immer nur »postlagernd, New York« zugestellt. Sie antwortete auf gut Glück: »1202 Broadway.« Man prüfte nach. Es war die Adresse eines öffentlichen Parks.
Die Zeitung Le Matin startete eine Hetzkampagne gegen die Humberts. Der Anwalt der Banque d’Elbeuf, Waldeck-Rousseau, der wenig später Ministerpräsident wurde, erklärte: »Das ist die größte Betrugsaffäre des Jahrhunderts!«
Anfang Mai 1902 wurde die Justiz eingeschaltet, dieses Mal jedoch nicht wegen der Crawford-Erbschaft, sondern wegen dem Ehepaar Humbert selbst. Paradoxerweise war es ihr eigener Anwalt, Monsieur du Buit, der ihren Sturz beschleunigte. Dieser glaubte nämlich aufrichtig an ihr gutes Gewissen. Als der Präsident es anzweifelte, rief er darum empört: »Um allen böswilligen Andeutungen einen Riegel vorzuschieben, schlage ich vor, den Geldschrank für eine Bestandsaufnahme zu öffnen.«
Der Richter ging sofort darauf ein: »Die Öffnung findet am 9. Mai um zwei Uhr nachmittags statt. Monsieur Lanquest, der Präsident der Notariatskammer, nimmt das Inventar vor.«
An dem angegebenen Tag und zu der vorbestimmten Zeit strömte eine Menschenmenge in der Avenue de la Grande-Armée zusammen. Unter die Neugierigen mischten sich Reporter aus ganz Frankreich und sogar aus dem Ausland. Der Ordnungsdienst wurde von Polizeipräfekt Lépine persönlich geleitet, eine Verantwortung, auf die der ehemalige Intimfreund der Familie Humbert sicher gern verzichtet hätte. Die Juristen, die Polizisten und der Notar klingelten an der Haustür. Ein Mitglied der vielköpfigen Dienerschar, die in diesem Haus arbeitete, versicherte geschraubt: »Monsieur und Madame befinden sich im Chateau des Vives-Eaux, aber sie kehren gewiss bald nach Hause zurück.« Daraufhin begaben sich alle in Frédérics Arbeitszimmer, in dem der berühmte Tresor thronte. Der Geldschrank der Humberts, den sämtliche Karikaturisten in der
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