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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Hafeneinfahrt zu.
    Die Fischerboote stoben widerstrebend auseinander und gaben eine Gasse frei, die dem Dampfer knapp die Durchfahrt erlaubte. Gilliéron schaute von der Höhe des Sonnendecks hinunter auf die krakeelenden Fischerleute, die im Regen ihre schwarz behaarten Fäuste schüttelten und einander mit rostigen Enterhaken beiseitezuschubsen versuchten. Kleine und untersetzte Männer mit Pluderhosen, Pausbacken und schwarzen Schnurrbärten waren das, die so gar keine Ähnlichkeit hatten mit den adlernasigen Marmorstatuen in der Antikenabteilung des Louvre, an denen Emile sein Griechenlandbild geschärft hatte.
    Nachdem der Dampfer den Leuchtturm an der Mole passiert hatte, öffnete sich der Blick auf den Hafen, an dem schon Aristoteles, Perikles, Platon und Alexander gestanden hatten – ein düsteres Halbrund von grauen, ein- und zweistöckigen Backsteinbauten vor einer kahlen, seit Jahrtausenden abgeholzten Hügelkette, darüber ein bleigrauer Himmel, unter dem schwarze Regenwolken landeinwärts zogen. Auf dem Landungsplatz standen zerlumpte Gestalten barfuß zwischen den Pfützen und winkten aufgeregt zu den Passagieren der ersten Klasse hinauf, schlugen das Rad, machten den Handstand und vollführten kleine Tänze, worauf die Passagiere Kupfermünzen hinunterwarfen und vergnügt beobachteten, wie die Zerlumpten sich darum balgten.
    Kaum hatte Emile Gilliéron wieder festen Boden unter den Füßen, verflüchtigte sich die Seekrankheit, dafür wurde er auf der kurzen Kutschenfahrt nach Athen im offenen Zweispänner nass bis auf die Haut. Beidseits der verschlammten Straße saßen Hunderte von hohlwangigen Kindern, die mit großen schwarzen Augen zu den Reisenden aufschauten. Emile fragte den Kutscher, was es mit den Kindern auf sich habe, und erhielt zur Auskunft, sie würden jeden Morgen vom Waisenhaus hier ausgesetzt in der Hoffnung, dass ein Reisender sich erbarme und eins von ihnen mitnehme.
    Als durch den Regen von weitem die weißen Säulen der Akropolis in Sicht kamen, heiterte Gilliérons Stimmung sich ein wenig auf, und als er im »Hotel d’Angleterre« ankam und erstmals die helle und geräumige Suite betrat, die Schliemann für ihn hatte reservieren lassen, und als das Zimmermädchen ihm den Mantel abnahm und ihm zur Stärkung wortlos einen Ouzo reichte, war er schon fast wieder versöhnt; ein paar Wochen oder Monate würde er es hier schon aushalten. Und falls Schliemann ihn tatsächlich so gut bezahlte wie versprochen, würde er ein ganzes Jahr bleiben und im nächsten Frühjahr mit den Taschen voller Geld heim nach Villeneuve fahren. Dort würde er sich ein kleines Haus am See bauen, die Abende mit seinen Freunden aus der Welpenzeit verbringen und tagsüber für den Lebensunterhalt kitschige kleine Aquarelle für englische Touristen malen – und selbstverständlich würde er, ob das den Bürgern von Villeneuve nun passte oder nicht, blaue Jacken tragen bis ans Ende seiner Tage. Vielleicht sogar gelbe.
    So dachte Emile Gilliéron sich das, aber natürlich kam es anders. Als er am nächsten Morgen seinen Frühstückskaffee getrunken hatte und zu einem ersten Spaziergang durch die Stadt und hinauf zur Akropolis aufbrechen wollte, fing ihn vor der Haustür Heinrich Schliemanns Kutscher ab und führte ihn mit wortloser Dienstfertigkeit im eleganten Vierspänner geradewegs zum Arbeitszimmer seines Herrn, das reich dekoriert war mit Marmorstatuen, bunt bemalten Vasen und Reproduktionen hellenischer Fresken.
    Schliemann saß hinter seinem Schreibtisch und schaute Gilliéron mit gerecktem Schildkrötenhals durch eine runde Nickelbrille mit kühlen, blassblauen Augen entgegen. Er begrüßte ihn knapp in sonderbar klingendem, wenn auch fehlerfreien Französisch und deutete mit herrischer Gebärde vor sich auf den Schreibtisch, auf dem ein hölzernes Tablett mit drei handtellergroßen Fragmenten eines Freskos lag. Das eine Mörtelstück stellte eine zur Faust geballte Hand dar, das andere ein Lilienornament und das dritte einen Fuß samt Wade.
    Diese Stücke seien am Abend zuvor aus Mykene eingetroffen, sagte Schliemann und wollte wissen, was Gilliéron in ihnen sehe.
    Emile zuckte mit den Schultern und antwortete, er sehe eine Hand, einen Fuß und ein Stück Lilienmuster.
    Er verbitte sich Keckheiten, sagte Schliemann. Gilliéron solle ihm sagen, was dieses Fresko als Ganzes dargestellt haben könnte.
    Das könne man nicht wissen, sagte Gilliéron.
    Dann sei Gilliéron der falsche Mann für ihn, sagte

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