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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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und der berühmteste Archäologe der Welt zu werden, beim Direktor der École des Beaux-Arts anfragen ließ, ob es unter seinen Studenten einen guten Zeichner gebe, der ihm auf den Ausgrabungsstätten von Mykene zu Diensten sein könnte. Darauf ließ der Direktor den talentierten und ungebärdigen Gilliéron rufen, weil er sich dachte, dass dieser Auslauf gebrauchen konnte und sich im streng ritualisierten Pariser Kunstbetrieb sowieso nie zurechtfinden würde. Als er ihn fragte, ob er als wissenschaftlicher Zeichner nach Griechenland fahren möchte, sagte Emile sofort zu.
    Der Direktor gab dann doch zu bedenken, dass Schliemann ein mecklenburgischer Pastorensohn mit herrischem, aufbrausendem Charakter sei, der noch nie im Leben einen Freund gehabt habe, rastlos in der Welt umherreise und überall binnen weniger Tage zwanghaft die jeweilige Landessprache lernen müsse.
    Das bedeute doch immerhin, dass er mit den Leuten rede, sagte Gilliéron.
    Schliemann rede nicht, er kommandiere, sagte der Direktor. Liebe und Freundschaft kenne er nicht, die Menschheit bestehe für ihn aus Vorgesetzten und Untergebenen. Von seiner russischen Ehefrau habe er sich scheiden lassen, weil er für sein archäologisches Abenteuer eine Griechin an seiner Seite haben wollte. Dann habe er brieflich beim Erzbischof von Athen um eine Auswahl schöner junger Griechinnen gebeten und sich anhand von Fotografien für eine Siebzehnjährige entschieden, und auf der Hochzeitsreise habe der dreißig Jahre ältere Gatte das arme Ding vier Monate lang über die Altertümer Italiens getrieben und derart erbarmungslos mit Deutschunterricht traktiert, dass sie kurz nach der Ankunft in Paris einen Nervenzusammenbruch erlitt.
    Na ja, sagte Gilliéron, er wolle Schliemann ja nicht heiraten.
    Weiter müsse er bedenken, sagte der Direktor, dass Schliemann als Archäologe von niemandem ernst genommen werde. Die Fachwelt lache über diesen naiven Preußen, der mit dem Spaten in der einen und der Volksausgabe der »Ilias« in der anderen Hand über den Hellespont spaziere und immer gleich meine, den tatsächlichen Palast des Priamos samt dessen Goldschatulle gefunden zu haben, oder den wirklichen Kampfplatz vor den Toren Trojas, auf dem Aphrodite ihren Liebling Paris vor der Streitaxt des Menelaos rettete.
    Immerhin habe der Mann ziemlich viele hübsche Sachen ans Tageslicht befördert, sagte Gilliéron.
    Aber doch nicht die Streitaxt des Menelaos, sagte der Direktor. Genauso gut könne man in Andalusien nach Don Quichotes Lanze graben oder im Schwarzwald Hänsel und Gretels Backofen suchen.
    Eine Streitaxt sei eine Streitaxt, sagte Gilliéron.
    Das gab der Direktor zu. Auffällig sei aber doch, dass Schliemann den goldenen Glitzerkram immer erst am letzten Grabungstag entdecke, wenn grad niemand hingucke. In Anwesenheit von Zeugen aber kämen jeweils nur Tonscherben zum Vorschein wie bei allen anderen Archäologen auch.
    Wenn Glitzerkram aus dem Boden aufsteige, sagte Gilliéron, müsse man ihn naturgetreu zeichnen. Das traue er sich zu. Fürs Echtheitszertifikat sei er als Zeichner nicht zuständig.
    Das sei wohl wahr, sagte der Direktor.
    Griechenland solle sehr schön sein, sagte Gilliéron, und die Bezahlung sei gut. Und sein Stipendium laufe nächstens aus.
    Bei der Ankunft stellte sich ihm Griechenland dann allerdings als eine große Enttäuschung dar. Schon während der dreitägigen Überfahrt von Triest über Brindisi, Korfu und Patras war er ununterbrochen seekrank gewesen, dass er hätte sterben mögen, und als er am Morgen des 23. März 1877 in sehnsüchtiger Erwartung des Landgangs im strömenden Regen auf dem Oberdeck stand, geriet der vornehme, blendend weiße Ägyptendampfer des Österreichischen Lloyd vor der Einfahrt in den Hafen von Piräus in eine Rangelei mit einem Rudel stinkender, schwarz gegerbter und von Möwen umflatterter Fischerboote, von denen die einen auslaufen, die anderen aber in den Hafen zurückkehren wollten, weshalb sie einander den Weg versperrten und gegenseitig in die Seiten fuhren, dass die Spanten krachten. Der Kapitän des Ägyptendampfers ließ in sicherer Entfernung die Maschinen halten, stellte sich in vollem Ornat auf die Brücke und wartete. Und da es den Anschein machte, dass keiner von den Fischern binnen sinnvoller Frist klein beigeben und seinem Nebenmann den Vortritt gewähren würde, ließ er zwei Minuten lang die Dampfsirenen dröhnen und steuerte dann mit halber Kraft mitten durchs Gewimmel auf die

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