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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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allein war, setzte er sich an den Schreibtisch und versuchte Berechnungen über den Magnetismus der Neutronen anzustellen. Er vergaß aber nie, dass seine Eltern in Zürich, seine Großmutter in Wien und die ganze weitläufige Verwandtschaft in Gefahr schwebten, während er in der sicheren Entfernung von achttausend Kilometern Grapefruit und aufgepuffte Weizenkörner aß.
    Anderthalb Jahre hielt er das aus. Als aber im Sommer 1935 wieder die großen Sommerferien anbrachen und es auf dem Campus einsam wurde, weil die Studenten für drei Monate heim zu ihren Eltern fuhren, reiste auch Felix Bloch in den eigenen Fußstapfen nach Hause – erst mit dem Zug nach New York, dann mit dem Schiff über den Atlantischen Ozean.
    In jenem Sommer waren die Auswandererschiffe nach Amerika voll mit jüdischen Flüchtlingen, hingegen fuhren nur sehr wenige wie Felix Bloch in umgekehrter Richtung. Es war die Zeit der Nürnberger Rassengesetze und der Fronteninitiative, mit der die Faschisten auch in der Schweiz die Macht anstrebten; die Zeit auch, da die Gestapo jüdische Flüchtlinge aus der Schweiz zurück nach Deutschland entführte.
    Als er in Zürich ankam, herrschte schönstes Spätsommerwetter. Auf der Limmat kreuzten die Jungschwäne, auf dem See die Segelboote. Am Bellevueplatz vor der Oper hielt der Oberländer Bauernverband eine Viehschau ab, am Horizont grüßte freundlich der Gipfelkranz der Glarner Alpen. Felix Bloch ließ sich von der Mutter herzen und ging mit dem Vater am See spazieren, und er versuchte beide in stundenlangen Gesprächen zu überzeugen, dass es höchste Zeit war, aus Europa zu flüchten und mit ihm nach Amerika zu gehen.
    Ansonsten kehrte er zu den Gewohnheiten seiner Jugend zurück, ging zum Fußball in den Letzigrund und zum Schwimmen in den See. Ende September besuchte er die Großmutter in Wien und versuchte auch sie von der Dringlichkeit sofortiger Emigration zu überzeugen. Anfang Oktober fuhr er über Antwerpen nach Kopenhagen zur Feier zu Niels Bohrs fünfzigstem Geburtstag. Werner Heisenberg und von Weizsäcker reisten aus Leipzig an, Otto Hahn aus Berlin. Es war eine schöne Feier unter Freunden und Physikern, über Politik sprach man wieder nicht. Felix Bloch erzählte von seinem amerikanischen Alltag, in einem ruhigen Augenblick berichtete er Niels Bohr von seiner Arbeit zum Magnetismus des Neutrons. Dieser empfahl ihm, sich nicht länger mit theoretischen Erwägungen den Kopf zu zerbrechen, sondern ins Labor zurückzukehren und Experimente anzustellen. »Wenn man mit Neutronen arbeiten will, braucht man Neutronen«, sagte Bohr. »Bauen Sie eine Maschine, die Neutronen macht. Dann werden Sie sehen, was man mit ihnen anstellen kann.«
    Als das Fest vorüber war, fuhr Felix Bloch heim nach Zürich. Die Rückreise nach Kalifornien rückte näher, seine Studenten erwarteten ihn. Zudem hatte er Pläne, was das Neutron betraf. In den ersten Tagen des Jahres 1936 versuchte er die Eltern ein letztes Mal davon zu überzeugen, dass die Schweiz kein sicherer Hafen mehr sei. Dann kam der Tag, an dem er mit seinem Koffer der Limmat entlang zum Hauptbahnhof lief und mit der Eisenbahn über Basel und Brüssel nach Antwerpen fuhr. Und als sein Schiff die halbe Strecke nach New York zurückgelegt hatte, wurde in Davos der Schweizer NSDAP -Führer Wilhelm Gustloff von einem jüdischen Medizinstudenten erschossen.

Zehntes Kapitel

    Laura d’Oriano machte Furore mit ihrer Kosakennummer, immer zahlreicher strömten die Matrosen von den Stahlschiffen ins »Chat noir«. Am dritten Abend verfiel sie auf die Idee, ihr Französisch bei den Ansagen mit einem russischen Akzent zu würzen. Am vierten Abend schminkte sie sich erstmals slawisch hohe Wangenknochen ins Gesicht. So gefiel sie den Matrosen noch besser.
    Am Samstagnachmittag, als der sechste und letzte Auftritt bevorstand, schlug ihr der Patron vor, das Gastspiel um eine Woche zu verlängern. Gleichentags berichtete die »Liberté« zweispaltig über die Nachtigall von Kiew und schrieb ihr eine tragische Biographie auf den Leib, in der ein ukrainisches Landgut und eine Familie von altem Adel eine wichtige Rolle spielten; des Weiteren eine Horde blutrünstiger Rotarmisten und ein Massaker im Pferdestall sowie ein treuer Diener namens Pavlev, der die kleine Anuschka in ein Bärenfell gewickelt und auf einem Hundeschlitten über die gefrorene Wolga westwärts in Sicherheit gebracht hatte.
    Der Zeitungsbericht hatte zur Folge, dass in der zweiten Woche noch

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