Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Assistent Robert Serber. Und ein paar von meinen Doktoranden. Hat Teller nicht bei Ihnen in Leipzig doktoriert?
Bei Heisenberg. Über ionisierte Wasserstoff-Moleküle. Bei mir hat er nur Tee gekocht. Im Pingpongkeller.
So kam es, dass Felix Bloch den Sommer 1942 nicht am Strand von Santa Barbara verbrachte, sondern im Dachgeschoss von LeConte Hall in Berkeley. Ziel des Seminars war es, in freiem gemeinsamem Gedankenspiel rein hypothetisch zu ergründen, ob es grundsätzlich denkbar sei, Waffen von größter Zerstörungskraft anzufertigen, indem man Bindungskräfte im Inneren der Atome freisetzte.
Neun Männer nahmen an dem Seminar teil. Sie gehörten zu den führenden Köpfen auf diesem Gebiet. Die Zusammenkünfte waren geheim. Sie fanden im Dachgeschoss in einem Raum statt, zu dem nur Oppenheimer einen Schlüssel besaß. Zwei französische Fenster führten hinaus auf einen Balkon, der aus Sicherheitsgründen mit einem Stahlnetz verhängt war.
Am Morgen des ersten Tages berichtete Robert Oppenheimer zur atmosphärischen Einstimmung vom bis anhin größten von Menschen verursachten Explosionsunglück, das sich am 6. Dezember 1917 im Hafen von Halifax ereignet hatte. Nach der Detonation von fünftausend Tonnen TNT auf einem französischen Munitionsschiff hatte sich ein gewaltiger Feuerball gebildet, die Druckwelle hatte die Stadt auf einem Gebiet von zweieinhalb Quadratmeilen dem Erdboden gleichgemacht und zweitausend Menschen getötet. Und als sich wieder Stille über Halifax legte, war eine pilzförmige Rauchwolke in den Himmel gestiegen.
Die Zerstörungskraft der Explosion war gewaltig gewesen. Aber eine Uranbombe, darüber waren sich die Seminarteilnehmer schon am ersten Tag einig, würde mindestens den zehnfachen Effekt haben. Der Rauchpilz würde zehnmal so hoch steigen, der Feuerball zehnmal größer und die Druckwelle zehnmal stärker sein, und die Gewalt würde ausreichen, mit einem Schlag nicht nur eine Kleinstadt wie Halifax auszulöschen, sondern eine Großstadt wie Berlin oder Hamburg. Oder Rom. Und sie würde nicht nur zweitausend Menschen töten, sondern zwanzigtausend. Oder zweihunderttausend.
Schon früh erkannten die Seminarteilnehmer, dass es eine technische Herausforderung sein würde, die Bombe klein und handlich genug auszugestalten, damit sie von einem B29 -Bomber über eine lange Strecke zum Bestimmungsort transportiert werden konnte. Aber grundsätzlich schien es machbar. In einem ersten Memorandum hielt Oppenheimer fest, für eine rasche Kettenreaktion wäre ein mit Uran 235 gefüllter Behälter von zwanzig Zentimetern Durchmesser ausreichend, wobei natürlich ein Vielfaches an Volumen und Gewicht für den Zündmechanismus und die Ummantelung hinzukäme.
Den ganzen Sommer über rechneten und planten die neun Männer unter dem Dach von LeConte Hall an ihrer hypothetischen Bombe. Es galt exakt zu bestimmen, welche Mindestmenge Uran 235 nötig sein würde, um eine zuverlässige Kettenreaktion in Gang zu bringen. Ein Problem war der Zündmechanismus, der so konstruiert sein musste, dass die Masse möglichst rasch kritisch wurde und die Kettenreaktion vollständig ablief, ohne von einer vorzeitigen Detonation unterbrochen zu werden. Besonders wichtig war auch die Frage, wieviel Energie die Kettenreaktion freisetzen würde. Detaillierte Berechnungen ergaben, dass die Explosion einer Atombombe jene von Halifax in ihrer Gewalt nicht um das Zehnfache, sondern um mindestens das Hundertfache, wenn nicht das Tausendfache übertreffen würde, und dass die Zahl der Todesopfer also nicht zweitausend oder zwanzigtausend, sondern zweihunderttausend betragen könnte.
Felix Bloch hatte auf seinem Spezialgebiet dem Problem der Neutronendiffusion nachzugehen; er musste ermitteln, wie sich die schnellen Neutronen bei der Kettenreaktion verhalten würden. Einiges konnte er klären, manche Fragen blieben offen. Aber grundsätzliche Schwierigkeiten theoretischer oder technischer Natur tauchten während des Seminars nicht auf. Die Bombe war machbar, darin waren sich alle Teilnehmer einig.
Nur einmal machten sich Zweifel breit: Das war an jenem Julimorgen, an dem Edward Teller ins Besprechungszimmer hinkte, von Oppenheimer das Wort erbat und seine Befürchtung darlegte, dass die Hitze einer Atomexplosion als Initialzündung für einen Brand der gesamten Erdatmosphäre wirken könnte, der sich auf das Wasser in den Weltmeeren fortpflanzen und alles Leben auf dem Planeten auslöschen würde.
Der Hinweis war ein
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