Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
sollte?«
»Was könnte Schramm mit den Fundstücken aus dem Reimershof zu tun haben?«
»Er hatte im Kontorhaus eine Etage gemietet. Privat, nicht für seine Bank. Möglich, wenn auch unbeweisbar, dass die Kunstwerke dort untergebracht waren.«
»Dann wird er doch froh und Ihr Freund sein, nicht Ihr Feind.«
»Irgendetwas stimmt an der Sache nicht. Wenn Schramm auch nach 33 solche Kunstwerke sammelt, warum versteckt er sie dann nicht bei sich zu Hause? Er besitzt eine Villa an der Alster. Unzerstört und groß. Der ideale Platz, um Sachen in einem Speicher oder einem diskreten Wandschrank verschwinden zu lassen. Warum deponiert er die Objekte stattdessen in einer relativ kleinen Kontorhausetage, wo er viel weniger Platz hat? Wo er als Mieter auch nicht einfach Tresore in Wände setzen kann? Und obendrein noch in einem Viertel, das von den Engländern und Amerikanern regelmäßig bombardiert wird?«
»Aber vielleicht ist gerade so ein Büro das perfekte Versteck? Wer würde dort schon suchen?«
»Gut, das ist möglich. Wenn ein Versteck jedoch aufgedeckt wird, ist derjenige, der es einst anlegte, selten glücklich. Deshalb erkundige ich mich lieber vorher nach dem Einfluss des Herrn Doktor Schramm.«
»Das klingt, als könnte mich auch dieser Fall interessieren. Vorausgesetzt, dass es überhaupt ein Fall ist. Denn bislang haben Sie bloß einige beschädigte Kunstwerke zwischen Ruinen. Das gleicht noch eher der Arbeit eines Beamten im Fundbüro als bei der Kriminalpolizei.«
»Morgen werde ich mehr wissen.«
»Vielleicht schon heute Abend.« Ehrlich lächelt verschmitzt. »Sie sind kein großer Freund der modernen Kunst, Herr Oberinspektor?«
»Was das angeht, bin ich im 19. Jahrhundert stehengeblieben.«
»Dann schadet ein wenig Nachhilfe nicht. Heute Abend veranstaltet der Auktionator Herbert Nattenheimer eine Versteigerung alter und moderner Kunst sowie ausgesuchter Antiquitäten im Winterhuder Fährhaus. Sie werden dort mehr Objekte sehen als in einem Museum. Sie werden dort Käufer sehen, die sich für so etwas brennend interessieren. Und Sie werden sehen, welche Preise für Kunst geboten werden.«
»Die halbe Stadt liegt in Trümmern, die Leute schleppen sich mit eintausend Kalorien durch den Tag – und da veranstaltet jemand eine Kunstauktion?«
»Regelmäßig, mein lieber Herr Oberinspektor. Nattenheimers Versteigerungen sind ein gesellschaftliches Ereignis und unterhaltsamer als viele Varietéprogramme. Es ist Ihr neues Jagdrevier. Um acht Uhr fällt der erste Hammer.«
»Ich bin zu schäbig gekleidet.«
»Sie müssen ja nicht mitbieten. Reihen Sie sich einfach in den Kreis der Schaulustigen ein, Sie werden nicht auffallen. Nattenheimer hat immer ein großes Publikum.«
»Werde ich Sie dort treffen?«
Der Staatsanwalt klopft auf einen Aktenordner. »Ich habe bedauerlicherweise morgen früh eine Verabredung vor Gericht. Aber ich habe meine Augen und Ohren im Winterhuder Fährhaus. Falls eines der Werke aus meiner geraubten Sammlung dort zufälligerweise aufgerufen werden sollte, wird man mich umgehend informieren. Frau von Veckinhausen führt für mich noch immer private Nachforschungen durch.«
»Ich lasse mir die Sache durch den Kopf gehen«, erwidert Stave und erhebt sich. Plötzlich hat er es eilig, aus dem Raum zu kommen.
Er ist hungrig und müde, die klamme Kleidung klebt an seiner Haut. Er würde gerne etwas Warmes essen, ein heißes Bad nehmen. Einen anderen Abend. Wenn er es pünktlich bis zum Winterhuder Fährhaus schaffen will, muss er sich beeilen. Der Oberinspektor kann ein Stück weit mit der Straßenbahn fahren, danach geht er im Laufschritt weiter. Diesmal kümmert es ihn nicht, dass jedermann sein Hinken sehen kann. Er blickt auf seine Uhr. Auf dem Weg überquert der Kripo-Beamte den Goldbekplatz, im Regen und zur Abendbrotzeit nun fast verlassen. Bloß drei Mädchen stehen mitten auf dem Platz, zwei schwingen ein Springseil, das dritte hüpft und singt ein Lied, das BDM-Mädel gesungen haben, wenn sie durch die Straßen paradierten. Weiter auf der Sierichstraße. Er unterquert eine Brücke der Hochbahn: verrostete Stahlträger, dünn wie Unterarme, die Konstruktion sieht aus, als müsste sie einstürzen, sobald die erste Bahn darüberrattert. Tatsächlich ist sie schon in der Kaiserzeit errichtet worden, und Stave wundert sich wieder einmal, wieso im Bombenregen massive Bauten einfach kollabierten, während manche fragilen Werke, ja sogar einige Bäume oder Denkmäler
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