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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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sähe. Wahrscheinlich hätte ich es gar nicht versucht, wenn ich
    nicht schon sehr betrunken gewesen wäre. Als sie ihre Lieder gesungen hatte, rannte sie so
    schnell hinaus, daß ich sie nicht einmal auffordern konnte, ein Glas mit mir zu trinken. Ich
    rief also den Oberkellner und sagte, er solle Valencia fragen, ob ich sie einladen dürfe. Er
    antwortete, er wolle ihr das ausrichten, aber vermutlich tat er nichts dergleichen. Die Leute
    richten nie eine Botschaft aus.
Ich saß bis gegen ein Uhr in der verfluchten Bar und trank wie ein Loch. Ich konnte schon kaum
    mehr deutlich sehen.
Immerhin gab ich mir große Mühe, nicht geräuschvoll zu werden. Ich wollte kein Aufsehen erregen
    und mir damit Fragen über mein Alter zuziehen. Aber ich sah schon kaum mehr deutlich, Herr im
    Himmel. Als ich endgültig betrunken war, fing ich wieder die Geschichte mit der Kugel im Leib
    an. Ich war der einzige in der Bar, der eine Kugel im Leib hatte. Ich steckte die Hand in meine
    Jacke und drückte sie fest auf den Magen, damit das Blut nicht überall herumtropfte.
Niemand brauchte zu wissen, daß ich verwundet war. Ich verbarg die Tatsache, daß ich ein
    angeschossener Hund war.
Schließlich hatte ich Lust, die gute Jane anzurufen und zu fragen, ob sie schon zu Hause sei.
    Ich zahlte also und ging zu den Telefonkabinen hinaus. Dabei hielt ich immer die Hand auf den
    Magen, damit das Blut nicht weitertropfte. Ich war schön betrunken.
Aber in der Telefonkabine hatte ich plötzlich keine Lust mehr, die gute Jane anzurufen.
Wahrscheinlich war ich zu betrunken. Statt dessen rief ich Sally Hayes an.
Ich mußte ungefähr zwanzig verschiedene Nummern wählen, bis ich die richtige erwischte. Ich war
    halb blind.
»Hallo«, sagte ich, als jemand an den verdammten Apparat kam. Ich war so betrunken, daß ich
    eigentlich brüllte.
»Wer ist da?« fragte eine eiskalte weibliche Stimme.
»Ich, Holden Caulfield. Möchte mit Sally sprechen, bitte.«
»Sally schläft. Hier ist Sallys Großmutter. Warum rufen Sie um diese Zeit an, Holden? Wissen
    Sie, wie spät es ist?«
»Ja. Will aber Sally sprechen. Sehr wichtig. Soll kommen.«
»Sally schläft schon, junger Mann. Rufen Sie morgen an. Gute Nacht.«
»Wecken Sie sie! He, aufwecken! Nur vorwärts!«
Dann kam eine andere Stimme. »Holden, da bin ich.« Es war Sally. »Was soll denn das
    bedeuten?«
»Sally? Bist du's?«
»Ja - schrei nicht so. Bist du betrunken?«
»Ja. Hör. He, hör zu. Ich komme am Heiligen Abend. O. K.? Den verdammten Baum für dich zu
    schmücken. O. K.? O. K.? He, Sally?«
»Ja. Du bist ja betrunken. Geh jetzt ins Bett. Wo bist du? Wer ist bei dir?«
»Sally? Soll ich kommen und deinen Baum schmücken? O. K.? O. K.? He?«
»Ja - ja! Geh jetzt ins Bett. Wo bist du denn? Wer ist bei dir?«
»Niemand. Nur ich und Holden und Caulfield.« Großer Gott, war ich betrunken! Dabei preßte ich
    sogar immer noch die Hand auf meine Wunde. »Sie haben mich erwischt. Rockys Bande hat mich
    erwischt. Weißt du das? Weißt du, was das heißt, Sally?«
»Ich kann dich nicht mehr verstehen. Geh jetzt ins Bett. Ich muß gehn. Ruf mich morgen
    an.«
»He, Sally! Soll ich dir den Baum schmücken? Willst du das? He?«
»Ja. Gut Nacht. Geh heim und geh ins Bett.«
Sie hängte ein.
»Gut Nacht. Gut Nacht. Sally-Baby. Liebster süßer Sally-Liebling«, sagte ich. Kann sich jemand
    vorstellen, wie betrunken ich war? Dann hängte ich auch ein. Vermutlich war sie gerade erst von
    einer Verabredung heimgekommen. Ich stellte mir vor, wie sie mit den Lunts und allen und diesem
    Andover-Affen irgendwo ausgewesen war, wie sie alle zusammen in einer verdammten Teekanne
    herumgepaddelt waren. Wie sie alle geistreiches Geschwätz von sich gaben und höchst charmant
    und affektiert waren. Hätte ich mit ihr nur nicht telefoniert, Herr im Himmel! Wenn ich
    betrunken bin, benehme ich mich wie ein Verrückter.
Ich blieb ziemlich lang in der elenden Telefonkabine. Ich hielt mich sozusagen am Telefon fest,
    um nicht ohnmächtig zu werden. Es ging mir nicht gerade glänzend, ehrlich gesagt.
Schließlich ging ich hinaus und stolperte wie ein Idiot in die Herrentoilette. Dort füllte ich
    ein Waschbassin mit kaltem Wasser und tauchte meinen Kopf bis zu den Ohren hinein. Ich machte
    mir nicht einmal die Mühe, mich abzutrocknen. Ich ließ den blöden Hund einfach tropfen. Dann
    ging ich zum Heizkörper am Fenster und setzte mich darauf. Er fühlte sich schön warm an. Das
    tat mir gut, weil ich wahnsinnig

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