Der Faenger im Roggen - V3
dieser Nacht hatte ich die
größte Mühe, bis ich den See fand. Ich wußte ganz genau, wo er war - beim Central Park South
und so weiter -, aber ich konnte ihn doch nicht finden. Offenbar war ich viel betrunkener, als
ich selber dachte. Ich ging immer weiter und weiter, und es wurde immer dunkler und
unheimlicher und unheimlicher. Auf dem ganzen Weg begegnete ich keinem Menschen. Das war mir
nur recht.
Wahrscheinlich hätte ich einen Luftsprung gemacht, wenn mir jemand begegnet wäre. Dann fand ich
den See endlich. Er war zum Teil zugefroren und zum Teil nicht. Aber Enten sah ich nirgends.
Ich ging um den ganzen verdammten See herum - einmal wäre ich um ein Haar hineingefallen -,
aber ich sah keine einzige Ente. Ich dachte, falls sie noch da wären, schliefen sie vielleicht
nah am Ufer, auf dem Gras und so. Aus diesem Grund fiel ich fast hinein. Aber es war keine Ente
da. Schließlich setzte ich mich auf eine Bank, wo es nicht so verdammt dunkel war.
Ich schlotterte wie ein Verrückter, und am Hinterkopf hatte ich trotz der Jagdmütze kleine
Eisklumpen in den Haaren. Das machte mir Sorgen. Ich dachte, ich würde wahrscheinlich
Lungenentzündung bekommen und sterben. Ich stellte mir die Millionen Leute bei meiner
Beerdigung vor. Mein Großvater aus Detroit, der immer die Straßennummern ausruft, wenn man mit
ihm in einem verdammten Omnibus fährt, und meine Tanten - ich habe gut fünfzig Tanten - und
meine sämtlichen blöden Cousins. Eine riesige Menschenmenge. Als Allie gestorben war, rückte
die ganze Herde vollzählig an. Eine besonders blöde Tante mit Mundgeruch sagte fortwährend, wie
friedlich Allie daliege - das erzählte mir D.B.
Ich war noch im Spital. Jetzt machte ich mir also Sorgen, daß ich von diesen Eisklumpen in den
Haaren Lungenentzündung bekommen und sterben könnte. Meine Eltern taten mir fürchterlich
leid.
Hauptsächlich meine Mutter, weil sie immer noch nicht über Allie weggekommen ist. Ich stellte
mir vor, wie sie gar nicht wüßte, was sie mit meinen Anzügen und den Sportsachen und so weiter
anfangen sollte. Der einzige Trost war, daß ich sicher wußte, daß sie Phoebe nicht zu meiner
verdammten Beerdigung mitnehmen würde, weil Phoebe noch zu klein war. Das war wirklich das
einzige Gute an der ganzen Geschichte. Dann stellte ich mir auch vor, wie sie mich alle auf den
gottverfluchten Friedhof schleppen würden und mein Name auf einem Grabstein stünde. Zwischen
lauter anderen Toten. Großer Gott, wenn man tot ist, sperren sie einen regelrecht ein. Ich
hoffe nur, daß irgend jemand soviel Vernunft hat, mich einfach in den Fluß zu werfen, wenn ich
einmal wirklich sterbe. Mir ist alles recht, nur nicht ein gottverfluchter Friedhof. Wo die
Leute dann kommen und einem am Sonntag einen Blumenstrauß auf den Bauch legen, und lauter
solchen Mist. Wer will denn noch Blumen, wenn er tot ist? Niemand.
Bei schönem Wetter gehen meine Eltern oft zu Allies Grab und legen Blumen hin. Ich bin ein
paarmal mitgegangen, aber dann hatte ich genug. Erstens ist es kein Vergnügen, ihn auf diesem
blöden Friedhof zu sehen. Zwischen lauter Toten und Grabsteinen und allem. Wenn die Sonne
schien, war es weniger schlimm, aber zweimal - zweimal - fing es an zu regnen.
Schrecklich. Es regnete auf seinen blöden Grabstein und in das Gras über seinem Bauch.
Überallhin. Sämtliche Friedhofsbesucher rannten wie wild zu ihren Autos. Das machte mich fast
verrückt. Alle diese Besucher konnten sich in ihre Autos setzen und das Radio andrehen und dann
in irgendeinem guten Restaurant essen - nur Allie nicht. Ich konnte das nicht ertragen. Ich
weiß wohl, daß nur sein Körper auf dem Friedhof liegt und daß seine Seele im Himmel ist - und
der ganze übrige Mist -, aber ich konnte es trotzdem nicht aushalten. Ich möchte einfach, daß
er nicht dort wäre. Wenn ihn jemand gekannt hätte, müßte er verstehen, was ich meine.
Bei schönem Wetter ist es weniger schlimm, aber die Sonne scheint ja nur, wenn sie dazu
aufgelegt ist.
Um mich von der Lungenentzündung und dem allem abzulenken, versuchte ich unter der elenden
Straßenlaterne mein Geld zu zählen. Es waren nur noch drei einzelne Dollars und fünf
Vierteldollars.
Junge, seit Pencey hatte ich ein Vermögen ausgegeben. Dann ging ich ans Ufer hinunter und warf
das Kleingeld in den See, wo er nicht zugefroren war. Ich weiß nicht warum, aber jedenfalls
warf ich es hinein. Wahrscheinlich dachte ich, es würde mich von der
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