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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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Lungenentzündung und vom
    Sterben ablenken. Das war aber nicht so.
Ich fing an, mir vorzustellen, wie Phoebe es wohl aufnähme, wenn ich Lungenentzündung bekommen
    und sterben würde.
Kindische Gedanken, aber ich konnte nicht damit aufhören. Es würde ihr ziemlich elend, wenn es
    dazu käme, dachte ich. Sie hat mich sehr gern. Ich meine, sie hängt wirklich an mir. Ich kam
    einfach nicht davon los, und schließlich dachte ich, es wäre am besten, wenn ich mich nach
    Hause schleichen und sie besuchen würde - falls ich sterben müßte und so. Ich hatte den
    Hausschlüssel bei mir und dachte, ich könnte mich ganz leise in die Wohnung schleichen und eine
    Weile mit ihr schwätzen. Nur unsere Wohnungstür machte mir Kummer. Sie kreischt
    wahnsinnig.
Das ganze Haus ist schon ziemlich alt, und der Verwalter ist ein fauler Hund; alles kreischt
    und knarrt. Ich hatte Angst, daß meine Eltern mich hören könnten. Aber ich wollte es wenigstens
    versuchen.
Ich lief also schnell aus dem Park und ging heim. Ich ging den ganzen Weg zu Fuß. Sehr weit war
    es nicht, und ich war überhaupt nicht mehr müde oder betrunken. Es war nur sehr kalt und ganz
    menschenleer.

20. Kapitel
    Als ich zu Hause ankam, war der Liftboy, der sonst Nachtdienst hatte, nicht da. Das war das
    unglaublichste Glück, das ich seit Jahren gehabt habe. Irgendein neuer, den ich nicht kannte,
    stand am Lift, und falls ich also nicht gerade auf meine Eltern prallte, konnte es mir
    gelingen, Phoebe guten Tag zu sagen und mich dann davonzumachen, ohne daß überhaupt jemand von
    meinem Besuch erfahren würde. Wirklich ein unglaubliches Glück. Außerdem schien der neue
    Angestellte eher zu den Schwachsinnigen zu gehören. Ich sagte in sehr nachlässigem Ton, er
    solle mich zu den Dicksteins hinauffahren.
Die Dicksteins hatten die andere Wohnung in unserm Stock.
Dann nahm ich meine Jagdmütze ab, um nicht verdächtig auszusehen, und ging betont eilig in den
    Lift.
Er hatte die Türen schon zugemacht und wollte gerade abfahren, aber plötzlich drehte er sich um
    und sagte: »Die sind nicht zu Hause. Sie sind im vierzehnten Stock eingeladen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich soll oben auf sie warten. Ich bin ihr Neffe.«
Er warf mir einen mißtrauischen dummen Blick zu. »Warten Sie lieber in der Halle«, sagte
    er.
»Das würde ich gern tun«, sagte ich, »aber ich habe ein kaputtes Bein. Ich muß es immer in
    einer gewissen Stellung halten. Es ist wohl besser, wenn ich mich vor ihrer Tür auf den Stuhl
    setze.«
Da er nicht verstand, von was zum Teufel ich redete, sagte er nur »Ah« und fuhr mich hinauf.
    Nicht schlecht. Komisch, man braucht nur etwas daherzuschwätzen, was kein Mensch versteht, dann
    tun die Leute praktisch alles, was man von ihnen will.
Ich stieg schwer hinkend in unserem Stock aus und ging zur Wohnung der Dicksteins hinüber. Als
    ich hörte, daß er die Lifttür zumachte, kehrte ich um und ging auf unsere Seite. Das hatte ich
    gut gemacht. Ich war offenbar auch nicht mehr betrunken. Dann zog ich den Schlüssel aus der
    Tasche und machte leise wie ein Dieb die Tür auf. Dann schlich ich äußerst vorsichtig hinein
    und schloß hinter mir zu. Ich hätte wirklich Einbrecher werden sollen.
Drinnen war es stockdunkel, und natürlich durfte ich kein Licht andrehen. Ich mußte sehr
    achtgeben, daß ich nirgends anstieß und einen Höllenlärm verursachte. Aber ich fühlte gleich,
    daß ich zu Hause war. In unserem Gang ist immer ein sonderbarer Geruch, anders als irgendwo
    sonst. Ich weiß nicht, woher zum Teufel das kommt. Es ist weder Blumenkohl noch Parfüm - ich
    weiß nicht was -, aber man weiß immer sofort, daß man zu Hause ist. Ich wollte schon den Mantel
    ausziehen und in den Schrank hängen, aber dieser Schrank im Gang ist voll von Kleiderbügeln,
    die wie toll klappern, wenn man ihn aufmacht.
Deshalb behielt ich den Mantel an. Dann ging ich ganz langsam zu Phoebes Zimmer. Das
    Dienstmädchen konnte mich nicht hören, das wußte ich, weil sie auf einem Ohr taub ist. Ihr
    Bruder hatte ihr einen Strohhalm durch das Trommelfell gestoßen, als sie noch klein war. Sie
    ist ziemlich schwerhörig. Aber meine Eltern hören so gut wie Bluthunde, besonders meine
    Mutter.
Ich nahm mich also wirklich sehr in acht, bis ich an ihrem Zimmer vorbei war. Ich hielt sogar
    den Atem an, großer Gott.
Meinem Vater kann man mit einem Stuhl auf den Kopf hauen, ohne daß er aufwacht, während man für
    meine Mutter nur irgendwo in Sibirien zu husten braucht

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