Der Faenger im Roggen - V3
Lungenentzündung und vom
Sterben ablenken. Das war aber nicht so.
Ich fing an, mir vorzustellen, wie Phoebe es wohl aufnähme, wenn ich Lungenentzündung bekommen
und sterben würde.
Kindische Gedanken, aber ich konnte nicht damit aufhören. Es würde ihr ziemlich elend, wenn es
dazu käme, dachte ich. Sie hat mich sehr gern. Ich meine, sie hängt wirklich an mir. Ich kam
einfach nicht davon los, und schließlich dachte ich, es wäre am besten, wenn ich mich nach
Hause schleichen und sie besuchen würde - falls ich sterben müßte und so. Ich hatte den
Hausschlüssel bei mir und dachte, ich könnte mich ganz leise in die Wohnung schleichen und eine
Weile mit ihr schwätzen. Nur unsere Wohnungstür machte mir Kummer. Sie kreischt
wahnsinnig.
Das ganze Haus ist schon ziemlich alt, und der Verwalter ist ein fauler Hund; alles kreischt
und knarrt. Ich hatte Angst, daß meine Eltern mich hören könnten. Aber ich wollte es wenigstens
versuchen.
Ich lief also schnell aus dem Park und ging heim. Ich ging den ganzen Weg zu Fuß. Sehr weit war
es nicht, und ich war überhaupt nicht mehr müde oder betrunken. Es war nur sehr kalt und ganz
menschenleer.
20. Kapitel
Als ich zu Hause ankam, war der Liftboy, der sonst Nachtdienst hatte, nicht da. Das war das
unglaublichste Glück, das ich seit Jahren gehabt habe. Irgendein neuer, den ich nicht kannte,
stand am Lift, und falls ich also nicht gerade auf meine Eltern prallte, konnte es mir
gelingen, Phoebe guten Tag zu sagen und mich dann davonzumachen, ohne daß überhaupt jemand von
meinem Besuch erfahren würde. Wirklich ein unglaubliches Glück. Außerdem schien der neue
Angestellte eher zu den Schwachsinnigen zu gehören. Ich sagte in sehr nachlässigem Ton, er
solle mich zu den Dicksteins hinauffahren.
Die Dicksteins hatten die andere Wohnung in unserm Stock.
Dann nahm ich meine Jagdmütze ab, um nicht verdächtig auszusehen, und ging betont eilig in den
Lift.
Er hatte die Türen schon zugemacht und wollte gerade abfahren, aber plötzlich drehte er sich um
und sagte: »Die sind nicht zu Hause. Sie sind im vierzehnten Stock eingeladen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich soll oben auf sie warten. Ich bin ihr Neffe.«
Er warf mir einen mißtrauischen dummen Blick zu. »Warten Sie lieber in der Halle«, sagte
er.
»Das würde ich gern tun«, sagte ich, »aber ich habe ein kaputtes Bein. Ich muß es immer in
einer gewissen Stellung halten. Es ist wohl besser, wenn ich mich vor ihrer Tür auf den Stuhl
setze.«
Da er nicht verstand, von was zum Teufel ich redete, sagte er nur »Ah« und fuhr mich hinauf.
Nicht schlecht. Komisch, man braucht nur etwas daherzuschwätzen, was kein Mensch versteht, dann
tun die Leute praktisch alles, was man von ihnen will.
Ich stieg schwer hinkend in unserem Stock aus und ging zur Wohnung der Dicksteins hinüber. Als
ich hörte, daß er die Lifttür zumachte, kehrte ich um und ging auf unsere Seite. Das hatte ich
gut gemacht. Ich war offenbar auch nicht mehr betrunken. Dann zog ich den Schlüssel aus der
Tasche und machte leise wie ein Dieb die Tür auf. Dann schlich ich äußerst vorsichtig hinein
und schloß hinter mir zu. Ich hätte wirklich Einbrecher werden sollen.
Drinnen war es stockdunkel, und natürlich durfte ich kein Licht andrehen. Ich mußte sehr
achtgeben, daß ich nirgends anstieß und einen Höllenlärm verursachte. Aber ich fühlte gleich,
daß ich zu Hause war. In unserem Gang ist immer ein sonderbarer Geruch, anders als irgendwo
sonst. Ich weiß nicht, woher zum Teufel das kommt. Es ist weder Blumenkohl noch Parfüm - ich
weiß nicht was -, aber man weiß immer sofort, daß man zu Hause ist. Ich wollte schon den Mantel
ausziehen und in den Schrank hängen, aber dieser Schrank im Gang ist voll von Kleiderbügeln,
die wie toll klappern, wenn man ihn aufmacht.
Deshalb behielt ich den Mantel an. Dann ging ich ganz langsam zu Phoebes Zimmer. Das
Dienstmädchen konnte mich nicht hören, das wußte ich, weil sie auf einem Ohr taub ist. Ihr
Bruder hatte ihr einen Strohhalm durch das Trommelfell gestoßen, als sie noch klein war. Sie
ist ziemlich schwerhörig. Aber meine Eltern hören so gut wie Bluthunde, besonders meine
Mutter.
Ich nahm mich also wirklich sehr in acht, bis ich an ihrem Zimmer vorbei war. Ich hielt sogar
den Atem an, großer Gott.
Meinem Vater kann man mit einem Stuhl auf den Kopf hauen, ohne daß er aufwacht, während man für
meine Mutter nur irgendwo in Sibirien zu husten braucht
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