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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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schlotterte.
Komisch, ich schlottere immer wie toll, wenn ich betrunken bin.
Da ich sonst nichts zu tun hatte, blieb ich auf der Heizung sitzen und zählte die weißen
    Plättchen auf dem Fußboden. Ich wurde allmählich tropfnaß. Ganze Wasserbäche liefen mir am Hals
    hinunter über Kragen und Krawatte, aber es war mir alles gleichgültig. Ich war viel zu
    betrunken, um mir etwas daraus zu machen. Kurz darauf kam der Pianist, der die gute Valencia
    begleitete, und wollte sich seine goldenen Locken frisieren.
Während er sich kämmte, unterhielten wir uns, obwohl er nicht übertrieben freundlich war. »He,
    sehen Sie wohl diese Valencia, wenn Sie wieder in die Bar gehen?« fragte ich.
»Das ist beinah anzunehmen«, sagte er.
Ha, ha, wie witzig! Ich habe immer mit Witzbolden zu tun.
»Dann sagen Sie ihr Grüße von mir. Fragen Sie sie, ob dieser verdammte Kellner ihr meine
    Botschaft ausgerichtet hat, ja?«
»Warum gehst du denn nicht heim, Mac? Wie alt bist du überhaupt?«
»Sechsundachtzig. Hören Sie, richten Sie bitte Valencia meine Grüße aus, O. K.?«
»Warum gehst du nicht heim, Mac?«
»Keine Lust. Sie können aber wirklich Klavier spielen«, sagte ich. Reine Schmeichelei. Er
    spielte jämmerlich, falls das jemand interessiert. »Sie sollten am Radio spielen«, sagte ich.
    »So ein hübscher Bursche wie Sie. Alle die verdammten goldnen Locken. Brauchen Sie einen
    Manager?«
»Geh heim, Mac, sei brav. Geh nach Haus und mach, daß du ins Bett kommst.«
»Kein Haus, wo ich hin kann. Im Ernst - brauchen Sie einen Manager?«
Er gab mir keine Antwort mehr, sondern ging einfach hinaus.
Da er seine Lockenpracht fertig gekämmt und getätschelt hatte, ging er eben weg. Wie
    Stradlater. Diese hübschen Burschen sind alle gleich. Wenn sie mit ihren verdammten Haaren
    fertig sind, lassen sie einen sitzen.
Als ich schließlich von der Heizung aufstand und zur Garderobe ging, heulte ich. Ich weiß nicht
    warum, aber jedenfalls heulte ich. Wahrscheinlich, weil ich so verdammt deprimiert und allein
    war.
Dann konnte ich aber meine Garderobennummer nicht finden.
Das Mädchen an der Garderobe benahm sich zwar nett und gab mir meinen Mantel trotzdem. Und auch
    meine Platte Little Shirley Beans , die ich immer noch herumschleppte.
Ich gab ihr einen Dollar, weil sie so freundlich war, aber sie wollte ihn nicht annehmen. Sie
    sagte immer nur, ich solle nach Hause gehn und mich ins Bett legen. Ich versuchte, mich mit ihr
    zu verabreden, sobald sie heute frei hätte, aber davon wollte sie auch nichts wissen. Sie
    sagte, sie sei ja alt genug, daß sie meine Mutter sein könnte. Ich zeigte ihr meine verdammten
    grauen Haare und sagte, ich sei zweiundzwanzig - natürlich aus Blödsinn. Sie war aber wirklich
    nett. Ich zeigte ihr meine verdammte rote Jagdmütze, und die gefiel ihr sehr. Sie sagte, ich
    müsse die Mütze aber jetzt aufsetzen, weil ich so nasse Haare hätte. Sie war wirklich
    anständig.
Draußen war ich nicht mehr so betrunken, aber es war wieder ziemlich kalt geworden, und die
    Zähne schlugen mir wie toll aufeinander. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich ging bis zur
    Madison Avenue und wartete dort auf einen Omnibus, weil ich fast kein Geld mehr hatte und mit
    Taxis und so weiter sparen mußte. Aber ich hatte dann doch keine Lust, mich in einen verdammten
    Omnibus zu setzen. Ich wußte ja auch gar nicht, wohin ich fahren sollte. Deshalb machte ich
    mich auf den Weg zum Park. Ich wollte zu dem kleinen See gehen und nachsehen, was zum Teufel
    die Enten machten ob sie überhaupt noch da waren. Ich wußte immer noch nicht, was im Winter aus
    ihnen wurde. Der Park war nicht weit weg, und es fiel mir nichts ein, wo ich sonst hätte
    hingehen können - ich wußte ja überhaupt nicht, wo ich schlafen sollte. Ich war gar nicht müde
    oder so.
Nur wahnsinnig deprimiert. Als ich im Park ankam, passierte etwas Schreckliches. Ich ließ
    Phoebes Schallplatte fallen. Sie zerbrach in hundert Stücke. Sie steckte zwar in einem großen
    Umschlag, aber sie zerbrach trotzdem. Ich hatte beinah wieder geheult, weil ich das entsetzlich
    fand, aber dann nahm ich nur die Stücke aus dem Umschlag und steckte sie in meine Manteltasche.
    Man konnte nichts mehr damit machen, aber ich wollte sie doch nicht einfach wegwerfen. Dann
    ging ich weiter in den Park hinein. Es war stockdunkel.
Ich bin in New York aufgewachsen und kenne den Central Park auswendig, weil ich als Kind immer
    mit den Rollschuhen oder mit dem Rad dort herumgefahren bin, aber in

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