Der Faenger im Roggen - V3
und Pencey seid also nicht mehr vereint«, sagte er. Er drückte sich immer
in dieser Weise aus. Manchmal amüsierte es mich sehr, manchmal aber auch nicht. Er übertrieb
diese Art eigentlich ein bißchen. Ich meine damit nicht, daß er nicht witzig war oder so - das
war er sicher -, aber manchmal geht es einem auf die Nerven, wenn jemand fortwährend solche
Sachen sagt wie: »Du und Pencey seid also nicht mehr vereint.« Auch D.B. machte das manchmal zu
ausgiebig.
»Woran lag es denn?« fragte Mr. Antolini. »Wie hast du im Englischen abgeschnitten? Ich werfe
dich kurzerhand hinaus, falls du im Englischen ungenügend warst, du kleines
Aufsatzschreiber-As.«
»Ach, im Englisch ging es gut. Es war zwar mehr Literatur. Ich habe im ganzen Quartal nur
ungefähr zwei Aufsätze geschrieben«, sagte ich. Aber im mündlichen Ausdruck bin ich
durchgefallen. »Mündlicher Ausdruck war Pflichtfach. In dem bin ich durch gefallen.«
»Warum?«
»Ach, ich weiß nicht.« Ich hatte nicht viel Lust, näher darauf einzugehen. Es war mir immer
noch irgendwie schwindlig, und ich hatte plötzlich wahnsinniges Kopfweh. Tatsächlich. Aber da
es ihn offenbar so brennend interessierte, erzählte ich ihm mehr davon. »Im mündlichen Ausdruck
muß jeder in der Klasse aufstehn und einen Vortrag halten. Aus dem Stegreif, wissen Sie. Und
wenn er vom Thema abweicht, so soll man so schnell man nur kann Abschweifung! brüllen.
Das hat mich halb verrückt gemacht. Ich bekam eine schlechte Note - eine Sechs.«
»Warum?«
»Ach, ich weiß nicht. Dieses Abschweifen oder Nicht-Abschweifen ging mir auf die Nerven. Ich
weiß nicht. Das Dumme ist eben, daß ich es sogar gern habe, wenn jemand abschweift. Das ist
viel interessanter und so.«
»Legst du keinen Wert darauf, daß jemand beim Thema bleibt, wenn er etwas erzählt?«
»Doch, sicher! Ich möchte schon, daß er beim Thema bleibt. Aber ich habe es nicht gern, wenn er
zu übertrieben beim Thema bleibt. Ich weiß nicht. Es gefällt mir wohl einfach nicht, wenn
jemand die ganze Zeit immer nur beim Thema bleibt. Die mit den besten Noten im mündlichen
Ausdruck haben ihr Thema die ganze Zeit ohne Abschweifung verfolgt - das gebe ich zu. Aber da
war dieser Junge, Richard Kinsella. Er hielt sich nicht allzu genau ans Thema, und bei ihm
brüllten sie immer Abschweifung . Das fand ich schrecklich, denn er war sehr nervös - und
dann fingen seine Lippen immer an zu zittern, wenn er drankam, und man konnte ihn fast nicht
verstehen, wenn man weit hinten saß. Wenn seine Lippen dann etwas aufhörten zu zittern, dann
gefielen mir seine Vorträge besser als alle anderen. Er ist aber auch praktisch durchgefallen,
wie ich. Er bekam eine Vier, weil sie bei ihm die ganze Zeit über Abschweifung brüllten.
Zum Beispiel hielt er diesen Vortrag über diese Farm, die sein Vater in Vermont gekauft hatte.
Die andern brüllten vom Anfang bis zum Schluß: Abschweifung! , und der Lehrer, Mr.
Vinson, gab ihm eine Sechs, weil er nichts davon gesagt hatte, was für Tiere und Gemüsearten
und solches Zeug auf der Farm wuchsen. Dieser Kinsella fing zum Beispiel von lauter solchem
Zeug an, und dann erzählte er plötzlich von einem Brief, den sein Onkel an seine Mutter
geschrieben habe, und dieser Onkel habe mit zweiundvierzig Jahren Kinderlähmung bekommen und
habe sich im Spital von niemand besuchen lassen wollen, weil er nicht wollte, daß ihn jemand in
den orthopädischen Schienen sähe. Das hatte natürlich nicht viel mit der Farm zu tun,
zugegeben, aber es war einfach nett. Mir gefällt es jedenfalls, wenn jemand von seinem Onkel
erzählt. Besonders, wenn einer mit der Farm von seinem Vater anfängt und sich dann plötzlich
viel mehr für seinen Onkel interessiert. Ich finde es gemein, fortwährend Abschweifung! zu brüllen, wenn er so sympathisch und erregt ist... Ich weiß nicht.«
Es ist schwer zu erklären. Ich war auch nicht in der Stimmung, es besser zu erklären. Ich hatte
plötzlich so furchtbare Kopfschmerzen. Ich hoffte nur, daß Mrs. Antolini um Gottes willen bald
mit dem Kaffee käme. So etwas kann mich wahnsinnig ärgern - ich meine, wenn jemand behauptet,
daß der Kaffee schon fertig sei, und es dann gar nicht wahr ist.
»Holden, gestatte mir eine kurze und etwas langweilige pädagogische Frage: Meinst du nicht, daß
alles seine Zeit hat? Wenn jemand von der Farm seines Vaters anfängt, meinst du nicht, daß er
bei seinem Thema bleiben sollte, bevor er von den Schienen
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