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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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College Fußball gespielt
    hätte.
Oder vielleicht eignest du dir auch gerade so viel Bildung an, daß du alle die Leute
    unerträglich findest, die mir und mich verwechseln. Oder du landest in irgendeinem Büro, wo du
    die zunächst sitzende Stenotypistin mit Papierklammern bewirfst. Aber verstehst du überhaupt,
    was ich mit all dem meine?«
»Ja, natürlich«, sagte ich. Das stimmte auch. »Aber Sie täuschen sich mit dem, was Sie von Haß
    gesagt haben. Ich meine, daß ich Fußballspieler und so weiter hassen würde. Ich hasse nicht
    viele Leute. Vielleicht wären sie mir eine kurze Zeit verhaßt, so wie dieser Stradlater in
    Pencey und der andere dort, Robert Ackley. Ich gebe das zu, daß ich die manchmal gehaßt habe,
    aber es dauert nie lang, meine ich. Wenn ich sie eine Zeitlang nicht gesehen hatte, wenn sie
    nicht in mein Zimmer kamen oder wenn sie sogar ein paarmal nicht unten beim Essen erschienen,
    dann fehlten sie mir eigentlich. Ich meine, irgendwie fehlten sie mir.«
Mr. Antolini schwieg eine Weile. Er stand auf und holte sich einen neuen Eiswürfel für seinen
    Whisky und setzte sich wieder.
Man merkte, daß er nachdachte. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er das Gespräch erst am
    nächsten Morgen fortgesetzt hätte, aber das wollte er offenbar nicht. Die Leute wollen meistens
    gerade dann reden, wenn man selber keine Lust hat.
»Schön. Hör mir jetzt einen Augenblick gut zu... Vielleicht kann ich mich nicht so ausdrücken,
    wie ich gern möchte, aber in den nächsten Tagen will ich dir einen Brief darüber schreiben.
    Dann kannst du es dir richtig überlegen. Aber hör mir jetzt trotzdem zu.« Er versuchte sich
    wieder zu konzentrieren. Dann sagte er: »Dieser Sturz oder Abstieg, den ich für dich
    voraussehe, ist von besonderer Art - eine besonders furchtbare Art von Sturz. Der Abstürzende
    selbst fühlt oder hört sich nicht unten aufschlagen. Er fällt und fällt nur. Das gilt für alle
    die Menschen, die zu irgendeiner Zeit ihres Lebens etwas gesucht haben, das ihre Umwelt ihnen
    nicht bieten konnte. Oder etwas, wovon sie dachten, daß es ihnen die Umwelt nicht bieten könne.
    Infolgedessen gaben sie das Suchen auf. Sie gaben es auf, bevor sie überhaupt wirklich
    angefangen hatten. Kannst du mir folgen?«
»Ja, Sir.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Er stand auf und schenkte sich noch einen Rachenputzer ein.
Dann setzte er sich wieder. Während längerer Zeit schwieg er.
»Ich möchte dich nicht erschrecken«, sagte er. »Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie du
    auf irgendeine Weise zugrunde gehen würdest, und zwar für eine höchst wertlose Sache.« Er warf
    mir einen komischen Blick zu. »Würdest du es aufmerksam lesen, wenn ich dir etwas aufschreiben
    würde? Und es behalten?«
»Ja, natürlich«, sagte ich. Ich habe das Blatt immer noch, das er mir damals gab.
Er ging an seinen Schreibtisch hinüber und schrieb im Stehen etwas auf ein Blatt. Dann kam er
    zurück und setzte sich mit dem Blatt in der Hand wieder hin. »Eigenartigerweise stammt es nicht
    von einem Dichter. Ein Psychoanalytiker namens Wilhelm Stekel hat es geschrieben. Er sagte -
    Hörst du mir noch zu?«
»Ja, natürlich höre ich zu.«
»Er sagte: Das Kennzeichen des unreifen Menschen ist, daß er für eine Sache nobel sterben
    will, während der reife Mensch bescheiden für eine Sache leben möchte. «
Er beugte sich vor und gab mir das Blatt. Ich las es sofort, und dann dankte ich ihm und
    steckte es in die Tasche. Es war nett von ihm, sich soviel Mühe zu machen. Wirklich. Aber
    leider konnte ich mich gar nicht recht konzentrieren. Herr im Himmel, ich war plötzlich so
    verflucht müde. Mr. Antolini dagegen schien offenbar nicht im geringsten müde zu sein. Er war
    sogar ganz hübsch aufgedreht.
»Allmählich wirst du dir wohl darüber klarwerden müssen, welche Richtung du einschlagen willst.
    Und dann mußt du dich auf den Weg machen. Aber ohne Aufschub. Du kannst es dir nicht leisten,
    noch eine Minute zu verlieren. Du nicht.«
Da er mich ansah, nickte ich natürlich, aber es war mir nicht ganz klar, von was er redete. Ich
    war ziemlich sicher, daß ich ihn richtig verstand, aber doch nicht ganz. Ich war zu verflucht
    müde.
»Und - das sage ich sehr ungern -« sagte er, »aber ich glaube, sobald du einen Begriff davon
    hast, in welche Richtung du gehen willst, wird dein erster Schritt darin bestehen, daß du dir
    in der Schule Mühe gibst. Es geht nicht anders. Du hast zu lernen - ob dir diese Vorstellung
    nun

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