Der Falke des Lichts
die Musik. Jetzt, wo wir zusammen im Haus der Knaben waren, verbrachten wir den größten Teil des Tages miteinander. Wir teilten alles und stritten uns nie.
Als Morgas mich wegen Medraut ausfragte, stellte ich fest, daß ich ihren Fragen aus dem Weg ging. Sie war wunderschön, sie schien mir vollkommen zu sein, sie beherrschte die Finsternis - aber ich wollte nicht, daß Medraut ihr folgte.
Im März kehrten Lot und der Kriegshaufen zurück, aber nur kurz. Ich sah Agravain, und ich erschrak über die Veränderung in ihm. Er hatte sein Wachstum jetzt vollendet - er war fast achtzehn -, und er wirkte völlig wie ein junger Krieger, und er war Lot ähnlicher als je zuvor. Er war hochgewachsen, und sein goldenes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, glänzte in der Sonne. Der ganze Kriegshaufen befand sich in großartiger Kondition. Obwohl die Kämpfe im Winter schwierig gewesen waren - die Beute war reich gewesen, und sie hatten auch Zeit gehabt, sich auszuruhen. Mein Bruder hob sich von allen anderen ab. Er trug einen schönen, hellfarbenen Umhang und Juwelen, die er den Männern Gwynedds und Strathclydes abgewonnen hatte. Er hatte sein Kettenhemd, und seine Waffen glänzten. Er ritt hinter unserem Vater durch die Tore von Dun Fionn. Er saß auf einem stolzen Pferd und trug die Standarte. Die Leute von Dun Fionn und die Clansmänner, die aus der umliegenden Gegend zum Zuschauen hergekommen waren, stießen Hochrufe aus, als sie ihren König und seinen Sohn zusammen sahen, so großartig wirkten sie. Agravain grinste und hob die Standarte, die Krieger lachten und stießen wie ein Mann den Kriegsschrei aus, und die Leute jubelten noch lauter.
Agravain freute sich, zu Hause zu sein und Medraut und mich wiederzusehen. Er erzählte uns vom Krieg, von der langen Reihe sorgfältig geplanter und erfolgreich durchgeführter Überfälle, erzählte uns davon, wie er in einem Grenzscharmützel in Strathclyde seinen ersten Mann getötet hatte, wie er in ganz Britannien herumgereist und einmal sogar, in Gododdin, gegen eine sächsische Räuberbande gekämpft hatte. Er war das geworden, was ihm bestimmt gewesen war: ein Kriegerprinz, ein zukünftiger König der Orkneys. Meine paar kleinen Talente nahm er mir nicht länger übel, sondern er akzeptierte meine neugelernten Fähigkeiten mit gutmütigem Lachen und ein bißchen Lob. Er war froh, mich zu sehen, er war eifrig darauf bedacht, freundlich zu sein. Er war zuversichtlich, und Kleinlichkeit hatte er nicht mehr nötig. Medraut war sehr beeindruckt, und während Agravain redete, hielt er Agravains großen Speer und streichelte den abgenutzten Schaft. Ich hörte zu, aber hauptsächlich beobachtete ich Agravain. Schöner, der Sonne entstiegener Held, der nichts von Morgas' »größter Macht« kannte, von der Kraft, die in der Finsternis liegt. Ich beneidete ihn.
Er blieb nicht lange. Nachdem Lot die Zustände auf den Inseln überprüft und weitere Krieger gesammelt hatte, reiste er wieder ab. Der Krieg lief gut. Die jungen Männer waren ganz wild darauf, in die Schlacht zurückzukehren.
Im Mai, als ich mein vierzehntes Jahr vollendet und das Haus der Knaben verlassen hatte, schien die Situation in Britannien endlich deutliche Formen anzunehmen. Mein Vater stand fest in unserer alten Verbindung mit Gododdin und Dyfed; Powys und Brycheiniog bildeten eine unsichere und Ebrauc eine deutliche Opposition - es waren die mittleren Königreiche von Britannien, die alle einen romanisierten, antisächsischen König haben wollten. Endlich gab es noch Gwynedd, den ersten, der Anspruch auf das Amt des Hohen Königs erhob, in einer zittrigen Verbindung mit Rheged und Strathclyde - das war die antiirische, antirömische Partei. Neutral waren das Königreich der östlichen Angeln, ein sächsisches Königreich, das im Winter sowohl an Dyfed als auch an Gwynedd Boten geschickt hatte, und Dumnonia, das am meisten romanisch durchsetzte britische Königreich. Es sah so aus, als ob ein paar gutgeführte Schlachten den Krieg entscheiden könnten.
Aber im Juni waren alle Pläne weggefegt.
Die Sachsen, wie ich schon sagte, gaben keine Ruhe. Diejenigen, die am längsten hier angesiedelt waren, führten die größten Raubzüge durch und töteten, plünderten und entführten Männer, Frauen und Kinder. Aber hauptsächlich rissen sie Land an sich. Sie brauchten es. Da die Grenzen offen waren, hatte es weitere Sachsen nach Britannien gezogen: Verwandte, Sippenmitglieder, Stammesgenossen, neue Familien, die
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