Der Falke des Lichts
daß die Hörigen Llemyndd haßten und fürchteten, und die meisten von ihnen mochten ihren Herrn, Cerdic, auch nicht. Ein paar allerdings hatten auch Gutes von ihm zu sagen. »Der Herr ist fair«, sagte man mir. »Tu deine Arbeit, und er straft dich nicht.« Ich nickte und machte mich daran, zu entdecken, wie meine Lage eigentlich war.
Es dauerte. Die Hörigen wollten am ersten Tag nicht frei mit mir reden, und auch nicht am zweiten. Sie hätten es vielleicht nie getan, wenn die Musik nicht gewesen wäre. Sie sehnten sich sehr nach bekannten Liedern. Die Briten sind das zivilisierteste Volk im Westen, und sie lieben Musik, wie das nur zivilisierte Menschen können. Sie singen ständig vor sich hin, wie auch die Männer von den Orkneys oder die Iren, und jeder wandernde Barde kann sicher sein, daß er willkommen geheißen wird. In Erin oder auf den Orkneys ist es leicht einzusehen, warum Barden und Druiden so wichtig sind. Denn in diesen Ländern sind es die ausgebildeten Barden, die die Gesetze im Gedächtnis haben und sie den Königen vorsagen. Sie sind auch diejenigen, die Stammbäume und Geschichten singen können und die wissen, wann es Zeit ist, Korn zu pflanzen. Aber die britischen Barden haben keine andere Arbeit, als ihre Lieder zu singen, während der Rest in Büchern erledigt wird. Dennoch werden sie nicht weniger geehrt als die irischen Fillidh. Cerdics Hörige konnten singen, wenn sie arbeiteten, und ein paar konnten auch die Harfe spielen. Aber richtige, bardische Musik hatten sie schon seit Jahren nicht mehr gehört. Das erstemal, als ich für sie spielte, weinten sie vor Freude. Für ein Lied erzählten sie mir alles, was ich wissen wollte, alle Geheimnisse ihres Herrn, und sie überlegten nicht, daß sie für das Erzählen bestraft werden konnten.
Aldwulfs Name war ihnen wohlbekannt. Aldwulf Fflamdwyn, Aldwulf, der Flammenträger, so nannten sie ihn. Irgendwie gehörte sein geheimer Name als Zauberer zum Allgemeinwissen in ganz Britannien. Aldwulf wurde von seinen eigenen Männer gefürchtet, während Cerdic geliebt und bewundert wurde. Deshalb hatte Aldwulf außer seinem eigenen Clan nur wenige Krieger in seinem Heerhaufen, und wenn er eine Armee von den Bauern seines Königreiches aushob, dann kam niemals mehr als die normale Anzahl an Männern zustande. Nichtsdestoweniger war Aldwulf reich und mächtig, und da er mit Cerdic verbündet war, stellte er einen gefährlichen Gegner dar. Das Bündnis zwischen den Westsachsen und den fernen Bernicia, etwas, das sowieso schon überraschend war, hatte fast vor zwei Jahren begonnen. Cerdic hatte gegen Artus in einer Serie von Kämpfen Niederlagen erlitten, und darauf hatte er geantwortet, indem er sich mit allen anderen sächsischen Königreichen verbündete. Es war allerdings kein richtiges Militärbündnis, sondern nur eine Übereinkunft zwischen den sächsischen Königen, private Streitigkeiten beiseite zu legen und jedem Sachsen Hilfe und Zuflucht zu bieten, der zufällig Schwierigkeiten mit den Briten in seinem Territorium hatte. Das sächsische Territorium wurde in diesen Verträgen auf mehr als die Hälfte von Britannien ausgedehnt. Einige der sächsischen Könige hatten aber auch Waffenbrüderschaft geschlossen, hauptsächlich im Süden. Aldwulf gehörte nicht dazu, sondern er war mit dem größten Teil seines Heerbanns nach Süden gekommen, um Cerdic Hilfe und Rat zu geben. Er wollte den Hohen König der Britannier daran hindern, nach Norden zu kommen. Anfang April war er angekommen, und mit Geschenken hatte er sich Cerdics Vertrauen erschlichen. Außerdem - so flüsterten es sich die Hörigen zu
- durch Magie. Die Hörigen waren in keiner Weise gewillt, mit mir über die Magie zu sprechen, aber sie glaubten alle, daß Aldwulf ein Hexer war. Einer oder zwei der Hörigen - darunter auch einer von Cerdics wenigen Sachsen - erzählten mir verschiedene Geschichten über seine Zauberei, von denen ein paar mit Sicherheit falsch waren. Keiner der Hörigen mochte Aldwulf, und diejenigen, die Cerdic gern hatten, jammerten über den Tag, an dem ihr Herr den bernicischen König kennengelernt hatte.
Cerdic kämpfte jetzt seit fast drei Jahren gegen den Hohen König Artus. Der Krieg war mit jedem Monat für ihn schwerer geworden. Am Anfang, als er die Invasion begonnen hatte, da hatte er großen Erfolg gehabt. Aber Artus’ erster Zug, nachdem er seine Macht gesichert hatte, bestand darin, Cerdics Invasionsstreitkräfte von der Flanke her anzugreifen und
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