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Der Falke des Nordens

Der Falke des Nordens

Titel: Der Falke des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Marton
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redet man mit Sklaven oder mit einem Hund, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Dann atmete sie tief ein. Nie wieder würde sie ihm zeigen, dass sie Angst hatte.
    “Joanna!” Er stand breitbeinig da, die Hände in die Hüften gestemmt und wirkte so stolz und wild wie der Raubvogel, dem er seinen Beinamen verdankte. “Oder soll ich Sie holen?”
    Mit hoch erhobenem Kopf stand sie auf und ging langsam auf ihn zu. Dabei sah sie, wie er die Augen zusammenkniff, während er sie von oben bis unten musterte. Wahrscheinlich missfällt ihm wieder meine Aufmachung, ging es ihr durch den Kopf.
    “Ihre Kleidung ist unpassend”, stellte er tatsächlich fest.
    Wie leicht durchschaubar er doch ist, dachte sie und lächelte frostig. “Oh”, antwortete sie und betrachtete ihn abschätzend. “Und was ist mit Ihnen? Männer tragen schon lange keine Gewänder mehr.”
    Zu ihrer Überraschung lachte er laut auf. “Sagen Sie das einmal meinen Leuten!” Mit einer geschickten Bewegung zog er sich das Gewand aus, unter dem er eine weiße tunikaähnliche Jacke, eine hellgraue, eng anliegende Hose und hohe Lederstiefel trug. “Hier in den Bergen können Sie nicht so herumlaufen”, meinte er und warf ihr ohne weitere Umstände das Kleidungsstück über. “Wir haben ein wüstenähnliches Klima. Tagsüber ist es warm oder sogar heiß, doch sobald die Sonne untergegangen ist, wird es sehr kalt.”
    Sie wollte sich wehren, sah dann jedoch ein, dass er recht hatte, denn durch die offene Tür drang empfindliche Kälte. Deshalb bedankte sie sich höflich und fügte hinzu: “Ich bin gerührt, wie sehr Sie sich um mein Wohlergehen sorgen. Ich werde es nicht unerwähnt lassen, damit mein Vater weiß, dass mein Entführer ein freundlicher … He! Was soll das? Setzen Sie mich ab, verdammt! Sie brauchen mich nicht zu tragen!”
    “In diesen Schuhen wollen Sie laufen?”, erkundigte er sich. “In China war es üblich, dass Männer sich die Frauen unterwarfen, indem sie sie nötigten, ihre Füße in zu kleine und zu enge Schuhe zu zwängen, damit sie nicht weit laufen konnten, Joanna. Bei uns erwartet man, dass Frauen genauso kräftig ausschreiten wie Männer.” Er lachte amüsiert. “Wie wollen Sie denn morgen die Ziegen und Hühner hüten, wenn Sie sich den Fuß verstauchen?”
    Meint er das ernst?, überlegte sie. “Morgen bin ich nicht mehr hier”, erwiderte sie kurz angebunden.
    “Sie sind es so lange, wie es mir passt”, erklärte er, während er sie aus dem Flugzeug trug.
    Seine Männer begrüßten ihn lautstark und begeistert. Sekundenlang blieb er stehen und bedankte sich freundlich. Als einer der Männer mit Blick auf Joanna etwas sagte, begannen alle zu lachen. Auch Khalil stimmte ein, bevor er antwortete. Joanna erriet unschwer, dass es dabei um sie ging.
    “Sie verdammter Kerl!”, zischte sie ihn an. “Was reden Sie da über mich?”
    “Hammad erkundigte sich, was für ein unförmiges Paket ich mit nach Hause gebracht habe”, ließ Khalil sie wissen und konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. “Ich habe ihn an das Sprichwort erinnert, dass man ein Pferd nicht nach dem Sattel beurteilen darf.”
    Joanna errötete. “In meiner Heimat sagt man, dass man ein Buch nicht nach dem Einband beurteilen soll. Allerdings bin ich, wie Sie wissen, weder das eine noch das andere”, wies sie ihn frostig zurecht.
    “Richtig”, erwiderte er, und seine Miene wurde wieder abweisend. “Sie sind jedoch der Garant dafür, dass ich von Sam Bennett das bekomme, was ich haben will.”
    So war das also. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen war er doch auf Lösegeld aus.
    Einer seiner Männer kam auf ihn zu und führte einen schwarzen Hengst, der den Kopf unruhig hin und her warf und leise wieherte, am Zügel. Wie selbstverständlich hob Khalil Joanna auf den Rücken des Pferdes und stieg dann selbst auf. Und als er von hinten die Arme um sie legte, verspannte sie sich plötzlich wieder. “Noch eine Schmach”, flüsterte er ihr ins Ohr, während er die Zügel in die Hand nahm. “Es dauert nicht lange, Joanna. Bald sind wir am Ziel und können uns bis morgen aus dem Weg gehen.”
    Dann sprach er beruhigend auf das Pferd ein, das sogleich die Ohren aufstellte und sich dann mit feinen, gemessenen Schritten in Bewegung setzte. Nachdem Khalil ihm noch einen Befehl erteilt hatte, galoppierte der Hengst los und schoss blitzschnell wie ein Pfeil über das Plateau. Dabei hielt Khalil Joanna fest umschlungen. Sie hatte keine andere Wahl,

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