Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Falke des Pharao

Der Falke des Pharao

Titel: Der Falke des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynda S. Robinson
Vom Netzwerk:
an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten, sah er bemalte Wände, auf denen Darstellungen verstorbener Dorfbewohner zu sehen waren, die Geschenke von Familienmitgliedern erhielten. Außerdem konnte man Abbildungen der Hausgötter der Künstler erkennen. Er schlüpfte hinein und preßte seinen Rücken gegen die Wand.
    Die Grabstätte hatte eine kleine Eingangshalle, an deren Ende eine Treppe in die enge Gebetskammer darunter führte. Aus der Gebetskammer drang Wosers murmelnde Stimme und der Lichtschein einer Fackel. Kysen ging die Treppen zur Hälfte hinunter, hielt erneut inne und stieg dann so weit hinab, daß er den Künstler sehen konnte. Woser stand vor einem Opfertisch. Er murmelte ein Gebet und hielt Brot und getrockneten Fisch in beiden Händen. Dann legte er die Nahrungsmittel auf den Altar, goß Bier in einen Becher und stellte diesen daneben.
    Kysen wollte gerade gehen, als er ein Schniefen vernahm. Er blieb stehen, drehte sich um, und beobachtete den Künstler weiterhin. Woser wischte sich seine riesige Nase mit dem Handrücken ab. Er fingerte an dem Gürtel seines Rockes und zog ein zusammengefaltetes Papyrusblatt hervor.
    Er entfaltete es und begann, laut zu lesen. »Oh, du Dämon, der du mich seit vielen Tagen gequält hast, sei mir wohlgesonnen. Nimm dieses Brot, diesen Fisch, dieses Bier zu deiner Erhaltung.«
    Woser stammelte und schluchzte. Er wischte sich das Gesicht mit dem Papyrus ab, dann bedeckte er die Augen damit und jammerte unverständliche Worte vor sich hin. Er sank auf die Knie, wiegte seinen Körper vor und zurück und murmelte in den Papyrus hinein.
    Kysen rückte näher in der Hoffnung zu verstehen, was der Künstler sagte, aber plötzlich begann Woser zu husten. Dann verschluckte er sich, griff nach dem Becher mit Bier und leerte ihn. Er seufzte, faltete das Blatt und legte es zu den Nahrungsmitteln auf den Opfertisch.
    »O Ptah, o Hathor, o Amun, ich beschwöre Euch, treibt mir diesen Dämon aus. Ich wollte keinem ein Leid zufügen, nicht den Lebenden noch – noch den To-To-ten.« Woser brach ab und begann, wieder zu stöhnen und sich hin- und herzuwiegen. Als er sich wieder beruhigt hatte, fuhr er fort. »Schenkt mir die Fähigkeit zu zeichnen und laßt mich das Handwerk des Bildhauers erlernen und legt bei Osiris und den Göttern der Unterwelt Fürsprache für mich ein. Ich verspreche völlige Hingabe. Ich wollte niemandem ein Leid antun. Ich wollte niemandem Böses zufügen. Ich bitte Euch, erlöst mich von den Sünden, von diesem Dämon.«
    Kysen lehnte sich gegen die Wand der Kapelle, die Furcht in Wosers Stimme verwirrte ihn. Natürlich war es möglich, daß er selbst, wenn ihn tagelang und ununterbrochen eine solche Krankheit gequält hätte, ebenfalls Angst bekommen hätte. Der Mann stand da, ein Papyrusrohr mit Nase, und begann ein Ritual, das Kysen als Exorzismus erkannte. Zweifellos hatte dies der Arzt aus Theben zur Unterstützung von Wosers Genesung empfohlen.
    Der Künstler zog ein geschnitztes Amulett hervor, das Auge des Horus. Es war aus bemaltem Kalkstein gefertigt, sollte ein stilisiertes Auge darstellen und bedeutete Gesundheit. Woser legte das Amulett auf den Opfertisch. Dann zog er einen Beutel hervor, nahm eine Prise des darin enthaltenen Staubes heraus und streute ihn über die Flamme der Öllampe, die auf dem Tisch stand. Das Licht flammte auf, und Kysen nahm den bitteren Geruch verbrannter Kräuter wahr.
    »Hinaus, oh Dämon. Ich rufe Euch an, Horus und Seth, Amun und Mut, Isis und Hathor. Helft mir. Entweiche, oh Dämon. Ich habe nichts Falsches getan. Ich habe keinen Mord begangen; ich habe nicht gelogen; ich habe nicht gestohlen. Ich bin frei von Sünde. Entweiche, oh Dämon.«
    Noch mehr Gesang, noch mehr Kräuter. Dann zog Woser ein weiteres, kleineres Amulett mit dem Auge des Horus an einer Perlenkette hervor, legte sie um seinen Hals und betete. Kysen schüttelte den Kopf und trat aus dem Schatten, als Woser sich erhob, um zu gehen. Der Künstler erschrak und stieß einen kleinen Schrei aus.
    »Ihr habt Euch bei Eurer rituellen Beichte sehr kurz gefaßt«, sagte Kysen.
    Wosers Mund öffnete und schloß sich wieder.
    »Und Ihr habt etliche Sünden ausgelassen.« Kysen zählte sie an seinen Fingern ab. »Ihr müßtet noch sagen, daß Ihr die Armen nicht beraubt habt, daß Ihr keine Schmerzen und Tränen verursacht habt, daß Ihr niemanden ein Leid zugefügt habt, daß Ihr keine Opfergaben im Tempel beschädigt habt, daß Ihr die Kuchen der Toten oder

Weitere Kostenlose Bücher