Der Falke von Aryn
übersehen. Manchmal ist es von Vorteil, ein Herr zu sein …« Er wies an seiner Kleidung herab. »Wie jetzt auch.«
»Hast du von den Todeshändlern gehört?«, fragte Raphanael leise.
Lorentha nickte. »Wer nicht? Die Legende hält sich hartnäckig, aber bislang sah ich noch nie etwas, das ich als Beweis für ihre Existenz werten könnte.«
Er nickte. »Nun, es gibt Hinweise, dass sich ein Todeshändler in der Stadt aufhält. Barlin wird vorsichtig «, er betonte das Wort mit einem mahnenden Blick zu seinem Freund, »versuchen, herauszufinden, ob sich diese Hinweise bestätigen lassen. Aber dieser Todeshändler ist nicht das wahre Problem. Du hast Aragon erwähnt. Dort befindet sich schon seit Jahrhunderten der Hauptsitz eines anderen Ordens, der Bruderschaft.«
Lorentha schüttelte den Kopf. »Bruderschaften gibt es viele, aber in dem Zusammenhang …«
»Es hätte mich auch gewundert, wenn du von ihnen gehört hättest«, sagte Raphanael mit einem schwachen Lächeln. »Sie sind wie Geister. Die Seher, die Hüter und ebenfalls die kaiserlichen Walküren haben über die Jahrhunderte oft genug ihre Differenzen gehabt, aber in gewissem Sinne sind wir gegen die Bruderschaft verbündet. Ihre Mittel sind subtil, Beeinflussung, Intrigen, solche Dinge. Manchmal allerdings sind sie auch direkter. Einer ihrer Meister, Don Amos, hegt einen tödlichen Hass gegen mich, und wir erhielten einen Hinweis, dass er in die Stadt gekommen ist. Vielleicht mit dem Schiff, das diese Ladung Klingen geschmuggelt hat. Barlin will versuchen, mehr herauszufinden, bevor es zu spät ist, denn wenn Don Amos tatsächlich in der Stadt ist, wird er versuchen, eine Gelegenheit zu finden, mich zu erschlagen.«
Lorentha nickte langsam. So war es immer mit Geheimnissen und Intrigen. Jedes Mal, wenn man eine aufdeckte, stieß man nur auf eine andere. Es gab beständig neue Ebenen, Verbindungen und Fäden, die sich kreuzten und mit anderen Dingen zusammenwirkten. Ein dämonisches Spiel, das ihrer Meinung nach niemand gewinnen konnte. In ihrer Zeit bei der Garda hatte es immer wieder schattenhafte Spuren gegeben, nie etwas Greifbares, das auf größere Zusammenhänge hindeutete.
Jeder ist eine Puppe, hatte Albrecht einmal sehr ernsthaft gesagt. Der Trick wäre, zu erkennen, wer die eigenen Fäden führt.
Für sie war der kaiserliche Hof in Augusta voll von diesen Fäden und Schatten. Manche der Intrigen dort erschienen ihr kleinlich, kindisch fast, und doch hatte sie ab und an das Gefühl, dass hinter einem kleinen Plan ein großer stand, dass ein Intrigant, ohne es zu merken, selbst an Fäden gezogen wurde. Sie hasste diese Welt, aber auch die Garda war nicht frei davon.
Ihre Mutter war Opfer dieser Schattenwelt geworden, davon war sie überzeugt. Und jetzt erfuhr sie, dass Raphanael ebenfalls in dieser Welt lebte … aber das hatte sie ja von Anfang an befürchtet. Wenn der Orden rief, musste er dem Ruf folgen. Bei ihrer Mutter war es nicht anders gewesen. Jetzt fiel es Lorentha schwer, nicht preiszugeben, wie sehr es sie bedrückte, dass auch Raphanael in diesem Netz gefangen war. »Ich hoffe, du gewinnst die Auseinandersetzung«, sagte sie und versuchte, so unbeteiligt wie möglich zu klingen.
Sie konnte nicht wissen, dass Raphanael für sie eine Ordensregel gebrochen hatte, um ihr zu erklären, warum er sie unter Umständen im Stich lassen musste. Nicht weil er es so wollte, sondern weil er befürchtete, die Auseinandersetzung nicht zu überleben. Einmal schon war er mit Don Amos aneinandergeraten, und nur Glück hatte ihn lebend, wenn auch nicht unbeschadet, entkommen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihm dieses Mal gelingen würde, gegen Don Amos zu bestehen, schätzte er selbst eher niedrig ein, allein deshalb traf es ihn, wie unbeteiligt ihre Antwort soeben geklungen hatte.
»Ja«, sagte er rau. »Das hoffe ich auch.«
Umso wichtiger war, dass er ihr zuvor noch zeigte, wie sie ihr eigenes Talent zügeln konnte.
»Das Problem mit der Magie ist«, erklärte Raphanael später, nachdem Barlin bereits aufgebrochen war, »dass Magie schwer greifbar ist, nur indirekt gewoben werden kann. Ihr habt bestimmt schon einmal von einem fernen Ort geträumt, der so echt wirkte, dass Ihr hättet glauben können, Ihr wäret dort gewesen. Wahrscheinlich seid Ihr es auch gewesen, in Eurem Geist, was dann Magie gewesen wäre. Aber es dürfte Euch schwerfallen, es zu wiederholen.« Sie befanden sich wieder im Keller, nur war es jetzt nicht sie,
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