Der Falke von Aryn
Gesellschaft mich mit offenen Armen empfangen wird! Vergesst nicht den Skandal!«
»Der fand in Augusta statt«, sagte die Gräfin ruhig. »Jedoch nicht hier, wo ich Euch den nötigen Rückhalt geben kann. Es wird dennoch schwer werden.« Sie seufzte. »Die Menschen sind oberflächlich. Sie werden Euch sehen, Euren Namen vernehmen, und jeder wird sich das Maul über Euch zerreißen. Aber dem kann man entgegenwirken. Raphanael wird Euch dabei behilflich sein. Ich kenne seine Mutter, und wir haben uns eine Geschichte ausgedacht, dass Raphanael und Ihr schon im Kindesalter Freunde gewesen seid. Glaubt mir, es wird nicht viele geben, die es wagen würden, etwas anderes zu behaupten, um es sich auf die Weise mit mir zu verscherzen.«
»Lord Raphanael und ich sollen so tun, als ob wir alte Freunde wären, um es plausibel zu machen, dass wir Zeit miteinander verbringen?«, fragte Lorentha und schüttelte ungläubig den Kopf.
Die Gräfin nickte. »Genau das. Von Raphanael weiß man allgemein, dass er nicht wieder beabsichtigt, zu ehelichen. Ihr seid keine Debütantin mehr, also wird man Euch beiden gewisse Freiheiten zugestehen. Lord Raphanael ist sehr diskret, er wird darauf achten, dass keine Situation entsteht, die als zweideutig ausgelegt werden könnte.«
»Wozu der Aufwand?«, fragte Lorentha unverständig. »Warum sagen wir nicht einfach, es wäre so und erklären, dass ich, da ich nun mal in der Stadt bin, einen alten Freund aufsuche? Warum soll ich verbergen, dass ich bei der Garda bin? Es ist etwas, das mich mit Stolz erfüllt, und nicht etwas, dessen ich mich schämen müsste!«
»Weil wir verbergen wollen, dass wir dem Diebstahl des Falken nachgehen!« Cerline beugte sich etwas vor. »Wir müssen diesen Falken wiederfinden, Loren. Die Prozession ist das wichtigste Ereignis hier in der Stadt. Wenn herauskommt, dass er gestohlen wurde, wird es zu Unruhen kommen. Montagur hat Anweisung, im Falle eines Aufstands diesen mit allen Mitteln niederzuschlagen. Es mag möglich sein, andere Wege zu finden, um diesen ewigen Konflikt zu beenden, doch ein Aufstand wird nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Der Kaiser lässt sich nicht erpressen.«
Lorentha nickte langsam. Das war schon seit Jahrhunderten die Politik des Kaiserreichs. Man konnte über alles verhandeln, aber ein Aufstand wurde unbarmherzig niedergeschlagen.
»Es ergibt auch Sinn, dass König Hamil Lord Raphanael entsendet hat, den Raub des Falken aufzuklären«, sprach die Gräfin ruhiger weiter. »Isaeth ist eine Göttin der Manvaren, und da er mit der Hohepriesterin der Göttin verwandt ist, wird sie ihm bei der Aufklärung wahrscheinlich mehr behilflich sein als jedem anderen. Doch Aryn ist eine kaiserliche Stadt, hier ist er nur Gast. Ihr dagegen, als Majorin der Garda, habt weitreichende Befugnisse. Es ist die ideale Paarung, um diesen Diebstahl aufzuklären. Aber das oberste Gebot ist Diskretion, es darf nicht bekannt werden, dass das heiligste Relikt der Stadt entwendet wurde.« Sie wies mit einer Geste auf die Rüstung der Majorin. »Natürlich wird man leicht herausfinden, dass Ihr bei der Garda seid. Das können und wollen wir auch nicht verbergen. Doch was wir erreichen wollen, ist, dass die Leute denken werden, dass Ihr aus gänzlich anderem Grund hier seid! Und dafür müsst Ihr nun mal ein Kleid anziehen!«
»Welcher Grund soll das denn sein, außer dem, dass ich nach dem Mörder meiner Mutter suche?«, begehrte Lorentha auf. »Wie soll dies meinem Ruf behilflich sein, wenn jeder denkt, ich wäre die Liebschaft dieses Lord Raphanael?«
»Ganz einfach«, sagte die Gräfin knapp. »Dieser ganze angebliche Skandal um Euch ist doch nur ein Gerücht! Man sagt Euch nach, dass Ihr eine Liebschaft mit Herzog Albrecht eingegangen wäret, aber Beweise dafür gibt es nicht!«
»Nur, dass es wahr ist«, meinte Lorentha trotzig.
»Göttin!«, brach es aus der Gräfin heraus. »Ihr versteht es noch immer nicht! Was meint Ihr denn, wie viele dieser ach so tugendhaften Damen, die sich das Maul über Euch zerrissen haben, einer Liebschaft mit dem Herzog abgeneigt gewesen wären? Jede von ihnen hätte ihren Rock für ihn gehoben, hätte er sie nur gefragt! Nur tat er das nicht … in all den Jahren hat er nur einer Frau seine Gunst erwiesen, und das seid Ihr gewesen! Jede andere Frau hätte man darum beneidet!« Sie holte tief Luft. »Doch Ihr habt Euch kampflos aus der Gesellschaft zurückgezogen und den Schandmäulern das Feld überlassen, wo Ihr so
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