Der Falke von Aryn
einfach hättet gewinnen können!« Sie schnaubte herrschaftlich. »Ich lege die Schuld daran Eurem Vater zur Last; Karl war damals so versessen darauf, Euch unter die Haube zu bringen, dass er Euch angepriesen hat wie ein Stück trocken Brot! Es hat Euch entwertet, wäre er damals meinem Rat gefolgt, hätten die Herren sich um Euch gerissen!«
»Ganz so war es nicht«, widersprach Lorentha. »Ich habe Angebote genug gehabt, nur lehnte ich sie ab. Mein Vater und ich haben, wie Ihr wisst, miteinander gebrochen, aber das rechne ich ihm hoch an, er hat mich nicht gezwungen, auf eines dieser Angebote einzugehen. Daher rührte ja auch der Skandal, ich wies jemanden zurück, der die Zurückweisung nicht vertrug.«
Die Gräfin nickte langsam. »Dann werde ich mich bei Karl entschuldigen müssen, ich habe ihm deshalb endlos Vorhaltungen gemacht. Gut, wir werden das erwähnen, es wird uns in die Hände spielen.«
»Wie das?«, fragte Lorentha verständnislos.
»Weil Raphanael in dieser Beziehung ganz wie Herzog Albrecht ist. Die Damen würden alles tun, um seine Gunst zu erlangen, und wer eine unverheiratete Tochter hat, schickt sie auf die Jagd nach ihm! Sein Ruf ist über jeden Zweifel erhaben, und daraus folgt, dass er Euch niemals den Hof machen würde, wäre an den Gerüchten über Euch auch nur der geringste Funken Wahrheit. Also können sie nicht wahr sein, und wenn Ihr Euch später wieder voneinander löst, werdet Ihr die Frau sein, die seinen Antrag abgelehnt hat, weil Euch Eure alte Freundschaft wichtiger erscheint, und man wird sich in der Gesellschaft um Euch reißen!«
Lorentha sah sie mit großen Augen an.
»Ihr seid verrückt«, stellte sie dann fest. »Warum sollte er sich auf so etwas einlassen?«
»Zum einen, weil ich seine Mutter darum bat. Ich habe ihr erklärt, dass Ihr schuldlos an dem allen wart. Zum anderen wird Raphanael nicht wieder ehelichen, er hat den Willen nicht dazu, und wenn er Euch diesen Gefallen tut, verliert er nicht dadurch. Wenn wir es richtig spielen, wird auch er dadurch gewinnen!« Die Gräfin sah sie mit brennenden Augen an. »Versteht Ihr es jetzt? Dem Grafen geht es darum, Euren Auftrag zu verschleiern, doch mir geht es darum, Euch den Ruf wiederherzustellen, den Ihr ohne Grund verloren habt! Das bin ich Eurer Mutter schuldig. Und auch Euch.«
»Wieso?«, fragte Lorentha unverständig. »Wieso nehmt Ihr diese Mühe auf Euch? Was hat dieser Raphanael davon?«
»Ich werde es Euch erklären«, versprach die Gräfin und klang auf einmal müde. »Nur nicht heute Nacht. Es ist sehr spät geworden, wir sprechen morgen weiter. Für heute ist es genug, und auch Ihr braucht Euren Schlaf.«
Sie hatte recht, dachte Lorentha, für heute ist es genug, ihr brummte bereits der Kopf. Sie stand auf. »Dann wünsche ich Euch eine gute Nacht.«
Es schien das zu sein, was Cerline hatte hören wollen, denn sie lächelte erfreut. »Gute Nacht, Loren«, sagte sie und zog an der Klingel. »Das Mädchen wird Euch auf das Zimmer bringen. Wir sehen uns zum Frühstück, wir essen früh in diesem Haus, also seht zu, dass Ihr bis zur zehnten Stunde dazu erscheint.«
Zur zehnten Stunde? Das war früh? Lorentha hätte beinahe laut aufgelacht. In der Garda war es selten gewesen, dass sie länger als bis zur fünften Stunde hatte schlafen können. Aber ihr kam es gelegen. »Ich werde es nicht vergessen«, versprach sie und folgte dann dem Mädchen, das mit einem tiefen Knicks an der Tür erschienen war.
In ihrem Zimmer angekommen, wartete Lorentha, bis das Mädchen die Kerzen angezündet hatte, bedankte sich artig und schloss die Tür hinter ihr, um sich dann müde von innen dagegenzulehnen und leise zu fluchen.
Sie sah sich suchend um und fand ihre Seekiste zwischen dem reich verzierten Schrank und dem Waschtisch vor. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass beide Schlösser gehalten hatten und niemand den Inhalt ihrer Kiste angerührt hatte. Sie kleidete sich um und wusch sich rasch, dann entnahm sie dem Seekoffer eine flache Kiste aus poliertem Mahagoni und dieser die zwei Radschlosspistolen, die der Herzog ihr noch kurz vor seinem Tod geschenkt hatte. Es waren Meisterwerke kaiserlicher Büchsenmacherkunst mit jeweils zwei achtkantigen, fünffach gezogenen Läufen und einem doppelten Radschluss mit gedeckter Pulverpfanne, dessen Gravuren in Silber eingelegt jeweils eine Jagdszene darstellten. Anders als die Luntenschlösser, wie man sie bei den Gewehren der kaiserlichen Armee in Verwendung fand,
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