Der Falke von Aryn
wohl«, nickte Tobas und eilte davon, während die Gräfin ihren späten Gast sorgfältig musterte. Tobas brachte eine Karaffe mit kaltem, klaren Wasser und ein geschliffenes Kristallglas, stellte das silberne Tablett auf einen kleinen Beistelltisch, den er mit einer anmutigen Bewegung heranschob, und verabschiedete sich dann mit einer Verbeugung.
Als er die Tür hinter sich schloss, räusperte sich Lorentha verlegen. »Ich befürchte, Euer Diener hat in einem recht, es ist ungebührlich, so spät …« Sie hielt inne, als die Gräfin eine Geste tat, die all das zur Seite wischte.
»Tobas folgt den Lehren Isaeths und sieht es als Aufgabe des Adels an, anderen ein Vorbild zu sein … und als seine Aufgabe, den Adel an seine Rolle zu erinnern, wenn man in diesem Haus verkehrt. Er ist ein guter Mann, aber er nimmt dies wichtiger als die Göttin selbst. Aber in einem hat er recht, auf solches so streng zu achten, vermehrt meinen Ruf in der Gesellschaft, und Ihr würdet mir nicht glauben wollen, wenn ich Euch sage, welche Summen er bereits geboten bekam, um seine Anstellung zu wechseln.«
Ja, dachte Lorentha bei sich. Ich glaube gern, dass ich es ihr nicht glauben würde.
Die Gräfin sah die Majorin nun eindringlich mit ihren kornblumenblauen Augen an. »Ich sehe es anders, Loren, wir haben uns viel geschrieben, und ich weiß, welche Entscheidungen Ihr habt treffen müssen und was es Euch gekostet hat. Ihr wisst, dass ich Euch damals anders riet, und hätte Karl es zugelassen, hätte ich Euch unter meine Ägide genommen. Dennoch habe ich Eure Entscheidung respektiert und nicht mit Euch gebrochen.«
Ja, das hatte sie, dachte Lorentha. Sie war darin die Einzige gewesen.
»Und doch habt Ihr Euch vom Grafen für seinen Plan gewinnen lassen«, beschwerte sich die Majorin.
»Montagur vermutet eine Verschwörung hinter dem Mord an Eurer Mutter«, sagte die Gräfin mit einem müden Lächeln, als wolle sie für den Grafen um Verzeihung bitten. »Es ist eine fixe Idee für ihn. Er fürchtet, dass es sie noch immer gibt, und er hält es für notwendig, allen zu zeigen, dass er hinter Euch steht und seinen Einfluss für Euch geltend machen wird.«
»Alles gut und schön«, sagte Lorentha. »Aber warum muss es dann ein Ball sein? Wie könnt Ihr ihn darin auch noch unterstützen? Ihr müsstet doch am besten wissen, wie ich darüber denke; wenn ich mich recht erinnere, habe ich damals in meinen Briefen mein Herz reichlich an Euch ausgeschüttet!«
»Ja«, sagte die Gräfin leise. »Was nichts daran ändert, dass Montagur in dieser Sache richtig liegt. Der Ball ist der beste Weg, Euch hier in die Gesellschaft einzuführen und Euch mit Raphanael zusammenzubringen. Ich bin auch mit seiner Mutter befreundet, und wir halten es beide für den besten Weg.«
»Warum?«, fragte Lorentha unverständig. »Wenn es schon ein Ball sein muss, warum kann ich nicht meine Uniform anziehen? Ich bin keine Debütantin mehr, was nützt es, mich wie eine Puppe in Samt und Seide einzuhüllen und der Gesellschaft vorzuführen? Es wird auch nicht viel nutzen«, fügte Lorentha erhitzt hinzu. »Es wird jemanden geben, der sich an den Skandal erinnert, und die Leute werden tuscheln. Warum wollt Ihr, dass ich mir dies antue? Ich hatte eher auf Euren Beistand gehofft, als dass Ihr mir darin in den Rücken fallt.«
»Ich falle Euch nicht in den Rücken, vielmehr stärke ich ihn Euch«, sagte die Gräfin ruhig und beugte sich etwas vor. »Ich hörte, dass man Euch in der Garda nicht das Patent verlängern will. Ist das so?«
»Ihr habt große Ohren«, sagte Lorentha bitter. »Aber es ist wahr. Dies ist mein letztes Hurra. Genau deshalb will ich die Zeit nutzen, den Mörder meiner Mutter zu finden, und sie nicht damit verschwenden, mich auf Bällen zu vergnügen!«
»Oh«, meinte die Gräfin hart. »Ein Vergnügen wird das nicht. Ich fürchte, ganz im Gegenteil. Aber ja, ich gebe Montagur damit recht, auch ich halte es für den besten Weg, Euch und Lord Raphanael zusammenzubringen.«
»Ich nicht«, warf Lorentha störrisch ein, um dafür mit einem tadelnden Blick aus blauen Augen bedacht zu werden.
»Weil Ihr zu kurz denkt«, warf ihr die Gräfin vor. »Göttin, warum wollt Ihr es nicht sehen? Dies ist der Weg für Euch, in die Gesellschaft zurückzufinden! Ihr müsst doch an Eure Zukunft denken!«
»Wie das?«, fragte Lorentha bitter. »Ich war zwölf Jahre in der Garda, mein Ruf ist ruiniert, und ich bin zu vielen auf den Fuß getreten, als dass die
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