Der Falke von Aryn
sie sind. Wo waren wir?«
»Ich fragte, was Ihr von mir wollt«, erinnerte ihn Raban höflich.
»Ja, richtig. Gut, fangen wir an. Dort drinnen hast du behauptet, du wärst mit dem jungen Fräulein befreundet. Sage mir, wie es dazu kam.«
Raban schüttelte den Kopf, während er sich fragte, wie dieser Mort auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet Loren als junges Fräulein zu bezeichnen.
»Das geht Euch nichts an.«
»Hm«, sagte Mort, und sein Hut bewegte sich, als er den Kopf schräg legte, um Raban genauer zu betrachten. »Ich sollte dir nun etwas abschneiden, um dir zu erklären, dass deine Lage anders ist, als sie sich dir darstellt. Da ich dich unter Umständen noch brauchen kann, machen wir es anders. Tu, was du nicht lassen kannst«, schlug er vor. »Greife mich an.«
Wenn man schon eine so höfliche Einladung erhält, dachte Raban, zuckte mit den Schultern und bewies dann, dass sein Ruf nicht so ganz unbegründet war. Selbst ein geübtes Auge hätte Schwierigkeiten gehabt, der Bewegung seiner Hände zu folgen, als er sich nach vorn und zur Seite warf, um Mort noch im Sprung den linken Dolch in den Rücken zu rammen, während er ihm mit der rechten Hand die Kehle durchzuschneiden versuchte. Nur dass Mort nicht mehr dort war, wo er einen Lidschlag zuvor noch gestanden hatte. Ein Schauer lief Raban über den Rücken, als er erfolglos die Dunkelheit vor sich absuchte … niemand konnte sich so schnell bewegen! Dann spürte er eine kalte Klinge in seinem Nacken.
»Halten wir zwei Dinge fest«, hörte er die tiefe Stimme. »Zum einen, du lebst noch. Zum anderen, du lebst, weil ich es will. Denke darüber nach.« Überraschenderweise schwand der Druck der Schwertspitze aus Rabans Nacken. Er drehte sich langsam um, doch dort war niemand zu sehen. Als er aber die Drehung beendete, fand er Mort genau dort stehen, wo er zuvor gestanden hatte, in der gleichen Pose, nur dass jetzt das Licht aus einem der Fenster der Taverne ihn besser erfasste. Noch immer lagen Morts Augen im Dunkel, doch Raban konnte eine Hakennase erkennen, eine kleine Perle im rechten Nasenflügel und einen Mund, der zugleich grimmig und erheitert schien, von dessen linkem Winkel sich eine schneeweiße Strähne durch einen grauen, sauber gestutzten Bart zog, der ein kantiges Kinn einfasste.
»Warum fragt Ihr nicht einen anderen über sie aus? Dann brauche ich Euch nicht anzulügen«, schlug Raban vor und überlegte sich, ob er es wohl zum Hintereingang der Taverne schaffen würde.
»Junge«, meinte Mort. »Du machst es mir nicht leicht.«
»Gern geschehen«, sagte Raban höflich. »Sagt mir doch einfach, wer Ihr seid.«
»Ich sagte es schon. Man nennt mich Mort. Ich handele mit Leben und Tod.«
Ein Todeshändler, dachte Raban ungläubig, während ihm erneut ein Schauer über den Rücken lief. Es gab seit Jahrhunderten Gerüchte über sie, über eine Vereinigung von Assassinen, die sich mit dunklen Mächten verbündeten, um ihre Ziele zu erreichen. Angeblich waren ihre Dienste käuflich, aber es hieß auch, dass nur gekrönte Häupter es sich leisten konnten, sie anzuwerben. Aber Gerüchte und Legenden gab es viele, und bislang hatte Raban keinen Grund gesehen, sie alle als bare Münze anzusehen. Eine Einstellung die er in Bezug auf die Todeshändler vielleicht ändern sollte.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte er und nahm sich vor, baldmöglichst Wurfmesser aus Silber anfertigen zu lassen.
»Ich will dir ein Geschäft vorschlagen. Stimmst du zu, erhältst du Reichtum und dein Leben als Lohn.«
Was sein Lohn sein würde, sollte er das Geschäft ablehnen, konnte sich Raban bereits denken. Vor diese Wahl gestellt … Er seufzte. »Ich bin ganz Ohr.«
Der Tempelplatz
8 In dem abgedunkelten Arbeitszimmer ihrer Durchlaucht ließ eine Hand den schweren Vorhang fallen. »Sie ist sogar noch besser, als ich dachte«, meinte Tobas und nickte dankend, als Gräfin Alessa ihm ein schweres Kristallglas mit einem guten Branntwein reichte. Er nahm einen Schluck und sah sie fragend an. »Von Raphanaels Weingut?«
Sie nickte schweigend.
»Das muss man ihm lassen«, sagte Tobas und nippte noch einmal. »Der Mann hat ein Händchen dafür.« Er wies mit dem schweren Glas zum Fenster. »Lange hat das nicht gedauert.«
Die Gräfin lachte. »Sie lässt sich nicht in einen Käfig sperren. Darin ist sie ihrer Mutter ähnlich.« Sie löste sich von ihm und trat ans Fenster, um in die Nacht hinauszusehen, doch die Straße war still und leer. Anderes hatte
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