Der Falke von Aryn
die Gnade der Göttin noch die Knüppel der Wachen zu finden waren. Einige dieser Hintertüren waren mit festem Eisen verschlossen, mit massiven Riegeln und Fallen geschützt, andere dagegen standen meist offen.
Schon seit Jahren waren am Tempelplatz die besten Hurenhäuser der Stadt zu finden gewesen. Die feinen Kunden kamen oben mit der Kutsche an, während die, die ihnen dienlich sein mussten, geduckt durch die Hintertüren kamen. Oder, wie Lorentha nur zu gut wusste, nicht selten strampelnd und schreiend.
Das nächste Problem, wenigstens wenn sie es aus den Augen einer Majorin der Garda betrachten wollte, war, dass der gesamte Platz und natürlich der Tempel selbst sich unter Tempelrecht befanden. Als Prinzessin Armeth damals ihr Herz und diese Stadt verschenkte, konnte sie nur das geben, was sie besaß, und dieser Platz, hoch über der Stadt, aber noch in ihren Mauern liegend, gehörte nicht ihr, sondern Isaeth, weder König Hamil noch der Kaiser selbst hatten hier etwas zu sagen.
Schon lange bevor die Stadt als Mitgift einer Prinzessin den Besitzer gewechselt hatte, hatte man überlegt, was man dagegen tun konnte, bekäme man nur das Verbrechen in den Griff, so gäbe es in Aryn wohl kaum eine bessere Lage für die Häuser reicher Herren. Zweimal schon hatte man versucht, den Fuchsbau niederzubrennen, doch dadurch hatte man nur einen Teilsieg errungen und eine unausgesprochene Vereinbarung: Die jährliche Prozession nahm hier ihren Anfang, in wenigen Tagen würden Menschenmengen die lange, gewundene Straße säumen und den mannigfaltigen Geschäften, die es entlang der Straße gab, guten Umsatz bringen.
Im Prinzip hatte man sich dieses Viertel aufgeteilt. Alle Häuser, deren Front den Platz oder die Tempelstraße berührten, standen unter dem Schutz der Wache, die Gassen dahinter gehörten den Halunken, Dieben und Straßenräubern. Bei Tag, wenn die ehrbaren Bürger ihren Tempeldienst verrichteten, hielt sich die Unterwelt zurück, bei Nacht jedoch beanspruchten sie das gesamte Gebiet für sich. Wahrscheinlich war es auch noch immer so, dass die ehrbaren Bewohner dieser Gegend, sofern es noch welche von ihnen gab, Schutzgeld dafür bezahlten, nicht in der Nacht Besuch zu erhalten.
Jetzt war es Nacht, dunkler konnte es kaum werden, selbst der Mond glänzte nur dadurch, dass er nicht zu sehen war, und Lorentha konnte sich sicher sein, dass sie nicht nur von einem Augenpaar beobachtet wurde. Was mit ein Grund war, weshalb an ihrer Brust kein goldenes Schild mit einem Wolfskopf prangte und auch ihre Rüstung nicht mehr so ganz den Vorschriften der Garda entsprach. Die Art, Leder so zu gerben, dass es des Nachts wie dunkler Rauch wirkte und jedes Licht zu schlucken schien, kam aus Ravanne, wo man sich in der Kunst des Attentats angeblich bestens auskannte. Ein Attentat hatte sie nicht vor; dass sie diese Rüstung trug, hatte einen ganz einfachen Grund, selbst die Bewohner der Nacht hielten sich meist sehr zurück, wenn sie jemanden sahen, der so gewandet war.
Auch dieser Rat, wie konnte es anders sein, war von Albrecht gekommen, und seine Weisheit bestätigte sich noch immer. Auf dem Weg zum Tempelberg hinauf hatte sie mehr als einmal aus den Augenwinkeln Bewegung wahrgenommen, und auch jetzt fühlte sie die Blicke fremder Augen auf sich ruhen, doch niemand wagte sich aus den Schatten heraus.
Der Tempelplatz lag weit und leer vor ihr, nur vereinzelt spendeten Laternen oder Fackeln ein ungewisses Licht, die Gebäude, die selbst um diese späte Zeit noch hell erleuchtet waren, brauchten keine roten Laternen; dass sie überhaupt beleuchtet wurden, war Hinweis genug; das und die Kutschen, die hier standen, die meisten von ihnen ohne Wappen und Hinweis auf ihre Besitzer. Die Hurenhäuser bedienten keine Seeleute, ein Moment der Glückseligkeit kostete hier mehr, als ein Seemann in einem Jahr vertrinken konnte.
Lorenthas Blick schwenkte zur Seite hin, ein Stück Pflaster am Rand des Platzes, wo nichts mehr darauf hinwies, was hier vor über zwanzig Jahren geschehen war. Fast ohne ihr Zutun setzten sich ihre Füße in Bewegung, bis sie dort stand und sich langsam umsah. Eine der Erinnerungen, die ihr noch erhalten geblieben waren, zeigte das Tor des Tempels auf der anderen Seite des Platzes, heute wie damals war es von gleich vier Laternen hell erleuchtet, damit die Gläubigen auch in der Dunkelheit den Pfad zur ihrer Göttin gewiesen bekamen. Dem Winkel nach musste es also etwa hier geschehen sein.
Ein anderer
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