Der Falke von Aryn
Armstrad und Prinzessin Melisande, eher weniger geneigt waren, seiner Leitung zu folgen, hatte der Herzog in Lorentha eine gelehrige Schülerin gefunden, deren Auffassungsgabe ihn des Öfteren erstaunte, auch wenn er wusste, wer und was sie war.
Der Herzog besaß eine robuste Natur, und seine Bestellung zum Kommandeur der Garda war nicht unverdient gewesen. In seinem Herzen war der Herzog ein Soldat, und seine Abneigung gegen höfische Intrigen und Machenschaften war eine weitere Gemeinsamkeit. Auch er fühlte sich in den Baracken der Garda wohler als auf dem glatten Parkett, und unter seinen Soldaten war er hoch angesehen, wie Lorentha, sodass zumindest ihre Kameraden bei der Garda kaum ein Aufhebens darum machten, als es klar wurde, dass aus der Freundschaft schließlich doch mehr wurde. Doch am Hofe hatte es einen kleinen Skandal ausgelöst, der Herzog war verwitwet, und es gab genügend Damen von Stand, die sich Hoffnung gemacht hatten, diesen dicken Fisch ins Netz zu ziehen, und wieder und wieder wurde die Sau dieses alten Skandals über das glänzende Parkett getrieben. Nur dass sich der Herzog, seiner Position in der Welt als zweiter Mann im Reich sehr wohl bewusst, darum genauso wenig scherte wie sie. Dennoch waren seit ihrem Kennenlernen bis zu dem Zeitpunkt, an dem er ihr Liebhaber und auf andere Art ihr Lehrmeister wurde, mehr als fünf Jahre vergangen. Dann, einige Zeit später, als sie sich bei einem Bier von einem Fechtwettbewerb erholten, den er, wie üblich für sich hatte entscheiden können, war die Sprache auf den Mord an ihrer Mutter gekommen.
»Ich werde mich einmal umhören«, hatte er ihr versprochen. »Ich werde ein paar Bäume rütteln gehen, vielleicht fällt ja etwas herunter, das Licht ins Dunkel bringt.«
Keine vier Wochen später hatte sie ihn tot in seinem Sessel sitzend aufgefunden.
Ein Herzriss, wie die kaiserlichen Leibärzte ihn angenommen hatten, war ganz gewiss nicht der Grund gewesen, sonst wäre Barko, der Lieblingshund des Herzogs, nicht an dem Wein gestorben, den er aufgeleckt hatte, nachdem der Becher Albrecht aus der leblosen Hand gefallen war. Als Lorentha den Herzog gefunden hatte, hatte der Hund noch gelebt, viel Zeit hatte der Attentäter also nicht gehabt, aus der Kaiserburg zu entkommen, einem Ort, der sicherer kaum hätte sein können. Aber wer auch immer es gewesen war, er hatte außer dem Wein selbst keine Spuren hinterlassen.
Es gab eine gute Handvoll Personen, die dem Herzog den Wein hätten vergiften können, angefangen bei seinem eigenen Bruder, dem Kaiser selbst, seinen erwachsenen Kindern und einigen langjährigen Bediensteten, Freunden und Vertrauten. Die meisten von ihnen hätten allerdings eher Grund gehabt, Lorentha den Wein zu vergiften. Auch daran hatte sie schon gedacht, aber Albrecht und sie hatten selten vom selben Wein getrunken, er bevorzugte ihn weiß und süß, sie rot und so staubtrocken, dass der Herzog, wie er einmal scherzhaft gesagt hatte, davon sogar husten musste. Wer den Herzog gut genug kannte, um ihm den Wein zu vergiften, musste von diesen Vorlieben gewusst haben, ein Versehen in der Art, dass das Gift ihr gegolten hätte, um dann ihn zu fällen, konnte man also so gut wie ausschließen.
Lorentha war darin geübt, Verbrechen aufzuklären, doch das Problem war, dass alles auf die einzige Person hinauslief, die Gelegenheit, Mittel und, in den Augen mancher, auch Grund gehabt hätte, den Herzog zu ermorden. Sie selbst. Hätte sie sich an dem Tag an ihre übliche Gewohnheit gehalten, allein im Fechtsaal der Kaiserburg zu üben, hätte man sie wahrscheinlich sogar des Mordes an dem Herzog beschuldigt. Es war nur Zufall gewesen, dass sie zuvor auf dem Markt Armstrad, den Sohn des Herzogs, getroffen hatten. Er wollte eine neue Klinge abholen, die er sich bestellt hatte, sie hatte ihn begleitet, und sie waren gemeinsam in die Kaiserburg zurückgekehrt, wo sie dann den Toten entdeckt hatten.
Ohne diesen Zufall, dessen war sich Lorentha sicher, hätte sie ihren Kopf verloren, und niemand hätte je an ihrer Schuld gezweifelt. Der Mörder war entkommen, aber wenigstens konnte er sich nicht sicher fühlen, er musste wissen, dass sie immer noch nach ihm suchte. Auch wenn es wenig Erfolg versprechend war, denn überall war sie in eine Mauer des Schweigens gelaufen, begleitet von wohlgemeinten Ratschlägen, die Suche doch endlich einzustellen und nicht mehr an dem zu rühren, was tot und begraben sein sollte. Ein Rat, den sie zu oft gehört
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