Der Falke von Aryn
angreifen wird und ich ihre einzige Hoffnung bin?«
»In der Tat«, hatte sie ihm zugestimmt, »das wäre wohl zu einfach.« Für einen Moment hatte er schon gehofft, sie von ihrem Kurs abgebracht zu haben, doch dann hatte sich ihr Gesicht erhellt. »Ich habe eine Idee! Lord Simer gibt doch nächste Woche einen Ball.«
»Ja«, hatte er genickt und demonstrativ sein Buch wieder aufgenommen. »Einer von vielen Bällen, auf denen ich ganz sicher nicht erscheinen werde.«
»Diesen wirst du aufsuchen«, hatte sie ihm in einem Ton mitgeteilt, der keinen Widerspruch duldete. »Cerline wird dafür sorgen, dass die Majorin auch dort erscheinen wird. Komme mit ihr ins Gespräch und biete ihr deine Hilfe an, Cerline wird deine Fähigkeiten lobend erwähnen, und wenn sie nicht dumm ist, geht sie darauf ein. Sie weiß, dass sie jede Hilfe gebrauchen kann.«
»Hm«, hatte er gemeint und seine Mutter misstrauisch beäugt. »Versprichst du mir, dass das nicht wieder einer deiner zahlreichen Versuche ist, mich zu verkuppeln?«
»Raphanael«, hatte sie empört gesagt. »Sie ist eine Soldatin , seit zwölf Jahren dient sie in der Garda, und du weißt, wie diese Leute sind, rau, grob, ungeschlacht, und stur und dumm dem Kaiser dienend … was hättest du mit einer wie ihr denn schon gemein? Aber nur weil sie den Fehler beging, sich für die Garda und nicht für einen anständigen Mann zu entscheiden, bedeutet es noch lange nicht, dass man ihr nicht helfen sollte! Außerdem wäre es für die Beziehungen zwischen Manvare und dem Kaiserreich von Vorteil!«
Er lachte leise, als er sich daran erinnerte, wie Lorentha in der Tür der Kutsche gestanden und ihm zugelächelt hatte. Rau, grob und ungeschlacht. Richtig, schmunzelte er. Genau so, wie seine Mutter sie sich vorgestellt hatte. Götter, dachte er, wie sie dreingeschaut hatte, als sie auf die Idee gekommen war, er würde in einem dieser Hurenhäuser seinen Hintern verkaufen!
Tatsächlich mochte es sein, dass sich seine Mutter irrte. Die Majorin war offen und direkt. Sie hatte ihm weder schöne Augen gemacht noch ihn umschmeichelt noch ihn mit großen Augen angehimmelt. Und nicht ein einziges Mal hatte sie gekichert. Noch eines, sie war groß genug, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. Etwas, das selten genug geschah und ihm, wie er nun leicht erheitert feststellte, doch sehr zusagte.
Abgesehen davon, musste sie ein deutliches Talent zur Magie und einen starken Willen besitzen, sonst hätte sie es nicht vermocht, den Weg aus der Rückführung zu finden. Das eine Mal, als er sich darin versucht hatte, war ihm der Weg zurück fast nicht gelungen.
Alles in allem, dachte er, als die Kutsche vor seinem Haus anhielt und er die Treppe zu seinem Haus hochstieg, war die Majorin in vielerlei Hinsicht eine sehr ungewöhnliche Frau. Aber in einem hatte seine Mutter recht. Sie befand sich in Gefahr.
Er hatte von dem Mord gehört und auch davon, dass die Tochter fast sieben Jahre lang als tot gegolten hatte, bis sie völlig überraschend vor dem Gouverneurspalast wieder aufgetaucht war. Angeblich hatte sie keine Erinnerung mehr an den Mord oder die dazwischenliegenden sieben Jahre besessen.
Sie hatte sich nicht darüber geäußert, was sie durch die Rückführung erfahren hatte, und er hatte nicht gefragt, aber man konnte getrost davon ausgehen, dass dies jetzt nicht mehr brisant war. Ich hoffe nur, dachte er grimmig, dass es sie nicht ins Verderben stürzte.
Es gab nur eines, dessen er sich sicher war. Seine Mutter hatte ihn angelogen. Sie war gut darin, aber wenn das, was sie ihm eröffnet hatte, wahrhaftig alles war, um das es ihr ging, dann war er bereit, seinen Stab zu fressen. Mit Besteck und ohne Salz.
Er zog an der Klingel, und als ihm Barlin die Tür öffnete, war er noch immer so tief in Gedanken versunken, dass er zuerst nicht hörte, was ihm dieser sagte.
»Bitte?«, fragte er nach.
»Baroness Renera und das junge Fräulein sind gestern Abend noch zu später Stunde eingetroffen. Eure Frau Mutter lässt Euch ausrichten, dass sie Euch zum Frühstück erwartet.« Er räusperte sich. »Sie ersucht Euch um Pünktlichkeit.«
Er warf einen Blick auf die Pendeluhr, die in der Halle stand, eine von fünf Uhren dieser Art, die es in Aryn gab. Seine Mutter hatte sie ihm geschenkt, damit er nicht immer die Zeit vergaß. Wenn man dem Zeiger glauben durfte, dann war es nicht mehr lange bis zur fünften Stunde. »Sie hat Anweisung erteilt, das Frühstück für sieben Uhr zu
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