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Der Falke von Aryn

Der Falke von Aryn

Titel: Der Falke von Aryn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
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später. Nachdem sie sich wieder etwas gefasst hatte, hatte er ihr vorgeschlagen, in den Tempel zu gehen, da ihm, wie er sich ausdrückte, »diese ganzen unsichtbaren Augen, die uns hier beobachten, an den Nerven zerren«.
    Sie hatte dem Vorschlag dankbar zugestimmt und war froh darüber, dass er sie zu der hintersten Bank des Tempels geführt hatte, so konnte sie sich wenigstens setzen, denn sie fühlte sich auf eine Art ausgelaugt und erschöpft, wie sie es nicht von sich kannte.
    Jetzt schüttelte sie langsam den Kopf, was sie unsanft daran erinnerte, dass er wie ein Hammerwerk pochte.
    »Tatsächlich schlich ich mich wie ein Dieb aus dem Haus«, sagte sie und sah sich in dem stillen Tempel um. Bis auf eine alte Frau, die auf der vordersten Bank saß und leise schnarchend schlief, war der Tempel menschenleer und verlassen. Nur eine Handvoll Kerzen brannten und spendeten ein schwaches Licht, das die Säulen der hohen Halle über ihren Köpfen in der Dunkelheit verschwinden ließ. Vorn am Altar standen die beiden dicken Kerzen, doch auch ihr Licht reichte kaum aus, um das Standbild der Göttin zu beleuchten, man ahnte sie mehr, als dass man sie sah, und doch war sich Lorentha sicher, dass über ihrer hochgestreckten Hand der goldene Schimmer des Falken zu erkennen war, wie er mit weit gespreizten Flügeln seine Krallen in den Unterarm der Göttin schlug.
    »Seid Ihr sicher?«, fragte er.
    »Ganz sicher«, sagte sie. »Ich habe bei Gräfin Alessa Quartier bezogen. Nachdem sie erklärt hat, wie sie sich unser Treffen morgen Abend vorgestellt hat, schickte sie mich wie ein kleines Kind ins Bett. Anschließend bin ich aus dem Fenster geklettert. Warum fragt Ihr?«
    »Weil meine Schwester mich fast schon dazu drängte, mir noch heute Nacht den Schauplatz des Verbrechens anzusehen. Ihr müsst wissen, ich bin auch erst gestern Abend hier eingetroffen.«
    Lorentha sah ihn fragend an. »Aber es ist doch nachvollziehbar, dass sie von Euch Erkundigungen am Ort des Verbrechens erwartet?«
    »Ja, nur hilft es nicht viel, in ihrem Bestreben, das Verbrechen zu verheimlichen, haben sie alle Spuren beseitigt und sogar den Boden vor der Statue frisch poliert.«
    »Aber …«, begann sie.
    »Ja«, nickte er grimmig. »Auch meine Schwester war entsetzt. Sie war nicht hier, als es geschehen ist, sie hat mich auf meinem Landsitz besucht. Kardinal Rossmann gab die Anweisung dazu. Ich kann ihn verstehen, seine Prioritäten sind andere als die unseren, aber dennoch …«
    Sie nickte. Es war nicht das erste Mal, dass sie so etwas erlebt hatte, auch bei ihrem letzten Mordfall war es so gewesen. Als sie den Ort des Geschehens betreten hatte, hatte sie das Opfer frisch gewaschen und neu eingekleidet vorgefunden, die blutigen Kleider waren im Kamin verbrannt, während sich das Eheweib des Opfers unter Tränen eifrig bemühte, auch den letzten Rest des Blutes wegzuschrubben. So etwas geschah, war sogar verständlich, aber erfreulich war es nicht.
    »Wessen habt Ihr Eure Schwester im Verdacht?«, fragte sie erstaunt. »Sie wird doch wohl als Letzte ein Interesse daran haben, den Vorfall zu vertuschen?«
    »Es wäre ihr auch nicht möglich gewesen, wie gesagt, sie hat mich gestern auf meinem Landgut besucht. Ach«, sagte er und winkte ab. »Vergesst es. Für einen Moment habe ich befürchtet, dass meine Schwester es eingerichtet hat, dass wir uns hier ›zufällig‹ treffen. Aber selbst sie hätte nicht wissen können, dass Ihr vor meinen Augen zusammenbrecht.« Er lachte leise. »Abgesehen davon ergäbe es keinen Sinn. Sie weiß, dass wir uns am Abend auf dem Ball ›wiedererkennen‹ werden.«
    »Götter«, seufzte sie. »Der Ball. Wisst Ihr, dass ich glaubte, dass es kaum etwas Peinlicheres gäbe, als heute Abend so zu tun, als wären wir alte Freunde?«
    »Ihr habt leicht reden«, lachte er. »Ihr tragt ja kein ›Kleid‹.« Er wandte sich ihr zu, um sie prüfend anzusehen. »Habt Ihr Euch so weit erholt, dass Ihr den Rückweg antreten könnt? Es ist spät geworden, und viel bleibt nicht mehr von der Nacht.«
    »Es wird schon gehen«, meinte sie lächelnd. »Es geht die ganze Strecke bergab.«
    »Ihr werdet ganz gewiss nicht zu Fuß gehen«, meinte er entschieden. »Ich habe meine Kutsche hier und werde Euch nach Hause bringen. Sofern Ihr nicht um Euren Ruf fürchtet.«
    »Nein«, sagte sie mit einem Lächeln. »Wir sind alte Freunde, habt Ihr das vergessen?« Tatsächlich, stellte sie überrascht fest, fühlte es sich fast so an. Nichts

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