Der Falke von Aryn
genommen.«
Die Gräfin nickte. »Das stimmt. Aber wenn es wichtig genug war, dass Evana dafür sterben musste, was meint Ihr, hätte man nicht einen Versuch unternommen, es mir zu entwenden?«
»Wenn es eine Verschwörung gibt«, sagte Lorentha.
»Ich glaube nicht daran«, sagte die Gräfin und wischte sich die Augen.
»Warum?«
Die Gräfin lachte bitter. »Weil es keinen Sinn ergibt. Sie müsste Jahrhunderte überspannen und die drei mächtigsten Orden der Welt einschließen. Den Orden der Hüter hier in Manvare, den Zirkel der Walküren und die Seher von Ravanne. Und wenn dem so wäre, gibt es nichts, was wir gegen eine solche Verschwörung tun könnten.«
»Was haben denn die Hüter und die Seher damit zu tun?«, fragte Lorentha erstaunt.
»Alle Orden verwenden spezielle Waffen als Fokus für ihre jeweilige Magie. Atanamés, wie Eure Schwerter. Die Seher verwenden spezielle Dolche, Walküren ihre Schwerter und die Hüter Kampfstäbe. Ich bin mit Renera, Raphanaels Mutter, ebenfalls schon seit Langem befreundet. Raphanaels Talent offenbarte sich sehr früh, und es war uns allen bekannt, dass der Orden ihn aufnehmen und ausbilden würde. Durch Zufall geriet ich in eine Auktion, die unten am Hafen stattfand, dort wurde der Nachlass eines Hüters versteigert, der ohne Erbe in der Fremde verstorben war. Teil dieses Nachlasses bestand aus einem solchen Kampfstab. Raphanael war damals noch gar nicht in den Orden aufgenommen worden, aber ich dachte, es wäre ein schönes Geschenk, wenn er die letzte Prüfung besteht und zum Ordensmeister ernannt wird. Der Stab war aus Steineiche gefertigt und so unverwüstlich, wie man es diesem Holz nachsagt. Aber er war vollständig verdreckt. Vor allem die Kappen an den Enden hatten gelitten, also entfernte ich sie, um sie reinigen zu lassen, und fand dieses Fragment unter der oberen Kappe in eine kleine Tasche geöltes Leder eingenäht.«
»Und die Seher?«, fragte Lorentha atemlos.
»Das Pergament selbst«, sagte die Gräfin rau. »Es wird in Ravanne nach einem alten Ritual aus der Haut ungeborener Lämmer hergestellt. Es ist so fein, dass man fast durch es hindurchsehen kann. Die Seher verwenden es, um ihre Visionen aufzuschreiben. Niemand sonst verwendet diese Art von Pergament.«
»Das ist zu wenig, um daraus auf eine Verschwörung eines solchen Ausmaßes schließen zu können«, meinte Lorentha nachdenklich. »Ihr seht Gespenster.«
»Nein. Ich nicht«, antwortete die Gräfin kühl. »Ich sage ja, dass ich nicht an eine Verschwörung glaube.« Sie nickte in die Richtung des Pergaments. »Aber ich glaube sehr wohl daran, dass diese Worte etwas mit ihrem Tod zu tun haben. Wenn Ihr von Verschwörungen hören wollt, dann wendet Euch an Montagur, er hat Dutzende Theorien dazu. Nein, ich glaube, dass Evana das Rätsel löste und es sie zu ihrem Mörder führte. Menschen morden aus Tausenden von Gründen, aber der häufigste ist Gier, dicht gefolgt von Eifersucht und Wahn. Wenn Ihr mich fragt, ging es um Gold oder Macht. Dafür sterben doch die meisten.«
»Nun, der Falke der Göttin ist aus Gold«, begann Lorentha, doch die Gräfin schüttelte energisch den Kopf.
»Wie in aller Welt soll denn da ein Zusammenhang bestehen?«, fragte sie. »Gäbe es einen, meint Ihr nicht, der Falke wäre schon früher gestohlen worden?«
»Gut«, sagte Lorentha. »Jetzt habt die Güte, mir zu erklären, was dies alles mit mir, Raphanael und dem Falken zu tun hat, wenn es doch keine Verbindung gibt? Ihr könnt mir jedenfalls nicht erzählen, dass Ihr all dies«, sie tat eine Geste, die das Haus der Gräfin einschloss, »und diesen ganzen Mummenschanz in nur einem Tag vorbereitet habt?«
»Dieser verdammte Falke!«, fluchte die Gräfin ganz und gar nicht standesgemäß. »Die Dämonen mögen dieses Ding holen, er kam uns nur in die Quere!«
»Tat er das?«, fragte Lorentha gleichgültig. »Wie?«
»Ihr habt so weit recht, als dass dies alles schon länger in Vorbereitung ist.« Sie seufzte. »Seitdem Ihr mir geschrieben habt. Einen Teil habe ich Euch gestern schon erzählt, und ich bin mir sicher, dass es uns auch gelingen wird, Euch wieder in die Gesellschaft einzuführen, vor allem, da Raphanael willens ist, Euch dabei zu helfen. Doch das ist nur der eine Teil, auch wenn es damit fast unlösbar verbunden ist. Der andere Teil ist der, dass es von Eurer Suche nach dem Falken ablenken wird, wenn man Raphanael und Euch zusammen sieht, auch wenn Ihr in den Tempel geht, wird sich niemand
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