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Der Falke von Aryn

Der Falke von Aryn

Titel: Der Falke von Aryn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
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ein stures Kinn, etwas schmaler als ihr eigenes, und, von dem wilden Haar zum Teil verdeckt, der weiße Kragen einer karminroten Robe, wie Walküren sie zu offiziellen Anlässen trugen. Raphanael hatte recht, dachte Lorentha benommen, als sie auf das Antlitz ihrer Mutter starrte, eine Robe ist kein Kleid, sondern ein Gewand für festliche Anlässe. Sie konnte sich denken, bei welchem Anlass ihre Mutter dem Maler Modell gestanden hatte, so jung, wie sie auf diesem Bild war, musste es kurz nach ihrer letzten Prüfung gewesen sein, als man sie im Zirkel zur Walküre ernannt hatte.
    »Was Ihr sucht, befindet sich hinter diesem Bild«, sagte die Gräfin mit rauer Stimme. »Aber habt acht, wenn Ihr es löst, es ist eines von zwei Bildern, die ich von Eurer Mutter besitze, und es ist mir sehr viel wert.«
    Lorentha sah von dem Medaillon auf und bemerkte die Tränen, die der alten Frau die blassen Wangen herunterliefen. »Dann löst es selbst heraus«, bat sie leise und reichte der Gräfin den Anhänger.
    Cerlines Hände zitterten, stellte Lorentha fest, doch offenbar war sie geübt darin, das Bild zu entfernen, denn im nächsten Moment reichte sie ihr schon ein kleines gefaltetes Stück Pergament.
    So fein war es, dass es schon fast durchscheinend wirkte, als Lorentha es vorsichtig entfaltete. Es war ein Stück aus einem größeren Pergament, und obwohl die Tinte mittlerweile verblasst war, konnte man die Worte noch erkennen. Sie waren sorgfältig ausgeformt, wie sie es von alten Dokumenten oder Kirchenschriften kannte, und in Manvare verfasst.
    »…o wacht der Falke der Sarnesse über das Schicksal Aryns, bis …«, entzifferte sie mühsam und las die wenigen Worte erneut, um sicher zu sein, dass sie sie richtig verstand.
    »Was bedeutet das?«, fragte sie leise, und die Gräfin zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe es nie herausgefunden«, sagte sie unglücklich. »Aber ich glaube, Evana hat das Rätsel gelöst. Es führte sie in den Tod.«
    »Hier ist auch die Rede von einem Falken«, sagte Lorentha langsam. »Meint Ihr, es könnte …?«
    »Nein«, unterbrach die Gräfin sie. »Das konnte Eure Mutter aufklären. Der Falke der Sarnesse war der Beiname eines Eurer Vorfahren, Graf Leotin Sarnesse.«
    »Baron, meint Ihr wohl«, verbesserte Lorentha gedankenverloren, während sie das Stück Pergament anstarrte, als könne sie es durch bloßen Willen zwingen, seine Geheimnisse preiszugeben.
    »Ich sagte ›Graf‹, weil er einer war«, antwortete die Gräfin ungehalten. »Ihr solltet Eure eigene Familiengeschichte besser kennen. Er war ein Vertrauter Kaiser Pladis’ und einer seiner besten Generäle, bis er auf dem Schlachtfeld starb, als er einen Bolzen auffing, der für den Kaiser bestimmt gewesen war.« Sie lachte bitter. »Evana sagte einmal, es wäre der Fluch der Sarnesse, dass sie als Helden sterben würden. Eure Familie hatte früher einen größeren Einfluss im Kaiserreich, aber sie verlor ihn und den Grafentitel in den Jahren nach Kaiser Pladis’ Tod. Zumal der Titel an die männliche Erbfolge gebunden war.«
    »Dieser Vorfahr wachte also über das Schicksal Aryns«, sagte Lorentha nachdenklich und schüttelte dann den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Es ergibt gar keinen Sinn. Ihr habt recht, ich weiß nicht viel über unsere Familiengeschichte, doch ich glaube nicht, dass vor meiner Mutter ein Sarnesse jemals einen Fuß auf manvarischen Boden setzte. Oder wisst Ihr auch darüber mehr als ich?«
    »Nein«, sagte die Gräfin und schüttelte den Kopf. »Diese Worte verfolgen mich seit über zwanzig Jahren, aber sie gaben mir ihre Bedeutung nicht preis. Dabei sind sie deutlich genug; wer der Falke war, wissen wir, nur über was er wacht, stellt das Rätsel dar.« Sie seufzte. »Sowohl Evana als auch ich hielten es nur für ein Kuriosum. Wie hätten wir denn ahnen können, dass sie dafür sterben würde? Das Pergament ist alt, es stammt aus der Zeit von Kaiser Pladis, aber was kann so wichtig daran sein, dass man dafür auch heute noch töten würde? Ich habe nicht die geringste Ahnung, was damit gemeint sein kann, doch ich denke, Evana hat es herausgefunden und teuer dafür bezahlt.«
    »Wer weiß davon?«, fragte Lorentha leise und strich das Pergament unter ihren Fingern glatt.
    »Ein Geheimnis bleibt nur gewahrt, wenn nur einer davon weiß«, zitierte die Gräfin. »Ich habe außer Evana niemandem davon erzählt, und ich bezweifle, dass sie es weitertrug.«
    »Aber Ihr sagtet selbst, ihr hättet es nicht ernst

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