Der Falke von Aryn
anderen, der mit aller Macht verhindern will, dass der Mord an Eurer Mutter aufgedeckt wird.«
Lorentha nickte langsam. Allmählich ergab dies alles einen Sinn.
»Könntet Ihr nicht einfach verlauten lassen, dass ihr beide hinter mir steht und auf diesen ganzen besagten Mummenschanz verzichten?«, fragte sie schließlich entnervt.
»Selbst wenn wir es auf dem Platz verlesen lassen würden, wäre es nicht so wirksam wie dieser eine Auftritt auf dem Ball heute Abend«, beharrte die Gräfin. »Nur so erfahren es diejenigen, die es wissen sollen. Eure Mutter wusste so etwas, sie war auch auf diesem Schlachtfeld zu Hause. Es ist, soweit ich das sehen kann, eine Eurer wenigen Schwächen, dass Ihr darauf verzichtet habt, den Vorteil Eures Namens in dieser Art zu nutzen.«
»Ich bin eine Soldatin, keine Hofdame«, wehrte Lorentha ab.
Die Gräfin nickte langsam. »Genau deshalb braucht Ihr unsere Hilfe.«
»Dann erklärt mir nur noch eines, Cerline«, sagte Lorentha deutlich ruhiger. »Ich habe nun oft gehört, wie wichtig Ihr in der hiesigen Gesellschaft seid. Aber wieso seid Ihr der Ansicht, dass ich Eures Schutzes bedarf, dass Ihr mich überhaupt beschützen könnt? Man wird wohl kaum versuchen, mich auf einem Ball zu ermorden.«
»Abgesehen davon, dass auch das schon vorgekommen ist, geht es hier um Eure Glaubwürdigkeit. Ist es nicht so, dass man Euch in der Hauptstadt unterstellt, Ihr wäret von der fixen Idee besessen, dass der Herzog ermordet worden wäre, und das, obwohl die kaiserlichen Leibärzte den Tod durch Herzriss zweifelsfrei festgestellt haben? Stellt Euch vor, Ihr wüsstet, wer der Mörder wäre, und würdet seinen Namen laut hinausschreien, wer würde es Euch denn glauben wollen?«
Götter, dachte Lorentha entsetzt. Die Gräfin hatte recht. Genauso war es. Man respektierte ihre Arbeit bei der Garda, und auch sonst standen ihr viele Türen offen, aber wenn sie auch nur den Namen des Herzogs erwähnte, erhielt sie mitleidige Blicke und die gleichen Türen schlossen sich.
»Woher wisst Ihr das alles?«, fragte sie langsam. »Vieles von dem, was Ihr genannt habt, dürftet Ihr gar nicht wissen!«
»Ach, Kindchen«, sagte die Gräfin müde. »Ich bin nun schon über fünfzig Jahre alt, ich hätte dumm sein müssen, hätte ich nicht das eine oder andere in dieser Zeit gelernt. Vor allem, dass es kaum Geheimnisse gibt, die Leute tratschen, als ob sie etwas dafür bekämen, man muss nur hinhören, dann erfährt man alles aus der Welt. Warum fragt Ihr?«
»Weil ich hörte, Ihr wäret beim kaiserlichen Geheimdienst«, gestand Lorentha ihr.
»Das?«, antwortete Cerline und lachte erheitert. »Hier in Aryn geht das Gerücht schon so lange um, dass scheinbar jeder es inzwischen glaubt. Wäre ich es, sollte es dann nicht geheimer sein? Ich kenne nur ein paar Leute, die andere Leute kennen, mehr ist es nicht. Sogar Albrecht bat mich schon um Hilfe. Ich habe seinen Wunsch erfüllt und ihm die Berichte der Garda zukommen lassen. Ich hoffe, Ihr habt sie noch erhalten.«
Ja, dachte Lorentha bitter. Und keine vier Wochen später hatte sie den Herzog begraben müssen.
»Aber wie …«
»Ich bat Montagur darum, und er sah keinen Grund, die Unterlagen dem Herzog zu verweigern.«
Lorentha nickte langsam.
»Dennoch kann ich Euch in gewisser Weise schützen«, fuhr die Gräfin fort. »Zum einen, was Euren Ruf angeht, zum anderen, indem ich hier und da ein Wort fallen lasse, dass Ihr Euch meiner Unterstützung sicher sein könnt. Wenn Ihr mich lasst.«
Lorentha bedachte die ältere Frau mit einem langen Blick und traf dann ihre Entscheidung. »Kein Korsett.«
Die Gräfin seufzte theatralisch, doch sie gab sich geschlagen und nickte.
»Zudem brauche ich den Nachmittag für mich. Ich werde jemanden aufsuchen.«
»Darf ich fragen, wen?«, fragte die Gräfin.
»Lord Raphanael. Ihr erinnert Euch, er ist ein alter Jugendfreund?«
Cerline quittierte die Spitze mit einem leichten Nicken. »Wartet besser bis zum Ball. Ihr kennt Euch noch nicht, was wollt Ihr jetzt schon zu ihm sagen?«
»Oh«, lächelte Lorentha. »Ich denke, da wird mir etwas einfallen. Ach, und plant besser etwas mehr Zeit für das Mittagsmahl ein, ich habe üblicherweise einen gesunden Appetit.«
Kutschenfahrt mit Hut
12 Die Schuld daran, dass es damit dann nichts wurde, konnte sie allerdings nicht der Gräfin geben. Vielmehr war ein Jugendfreund der Grund, nur war es kein angeblicher wie Raphanael. Als sie vom Hutmacher zurückkehrte und
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