Der Falke von Aryn
ich das eine oder andere Mal im Tempel, und ich sah, wie sie den einen von der Hand der Göttin mit einer Art Kran heruntergelassen haben und den anderen hochzogen.«
Sie seufzte.
»Was?«, sagte Raban scheinbar beleidigt. »Darf ich etwa nicht denken können?«
»Nein«, sagte sie leise. »Ich verrate nur so viel: Ich würde dir gerne mehr sagen, aber es ist mir nicht gestattet.«
Er nickte langsam. »Weshalb hält man es geheim? Wegen eines möglichen Aufstands?«
»Wie gesagt …«
»Es gäbe einen Aufschrei«, sprach er weiter, als hätte sie nichts gesagt. »Der Kaiser schenkte damals der Stadt den Falken, um den Menschen hier zu zeigen, wie wichtig ihm die Prinzessin gewesen war, und manche sagen, es sei das Einzige, was er jemals richtig gemacht hat. Es beendete zumindest den Aufstand, den der Tod der Prinzessin auslöste. Aber heute?« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es einen Aufstand geben wird, selbst wenn herauskommt, dass der Falke gestohlen wurde. Allerdings möchte ich dann nicht in der Haut des Diebes stecken, wenn sie ihn erwischen.«
»Ich hoffe, dass du recht hast«, sagte sie. »Aber ich muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Nebenbei bemerkt, hat der Kaiser den Falken dem Tempel schon vor der Hochzeit als Brautgeschenk gegeben. Deshalb haben die Priester der Hochzeit ja erst zugestimmt.«
Er lachte. »Ja, das höre ich auch immer wieder. Ich nehme an, man hat es so in Umlauf gebracht, damit die Falkenprozession an die Hochzeit erinnert und nicht an einen Aufstand. Doch der Kaiser ließ den Falken erst nach dem Tod von Prinzessin Armeth in Gedenken an sie anfertigen.«
»Woher willst du das wissen?«
Er grinste breit. »Meine Vorfahren haben nicht viel zustande gebracht, was man daran sehen kann, dass der bedeutendste Teil unserer Familienlegende meinen Urgroßvater als den Mann feiert, der den Karren kutschierte, mit dem der Falke hinauf zum Tempel gebracht wurde. Mein Vater erzählte mir immer wieder mit einem gewissen Stolz davon.«
»Bist du deshalb damals dorthin beten gegangen?«, fragte sie leise.
»Ja. Nur hat es nicht geholfen«, antwortete er rau, als wäre es ihm nicht angenehm, welche Wendung das Gespräch genommen hatte. Er wies mit dem Kopf nach vorn. »Wir sind da, und es sieht aus, als hätte die Gräfin Besuch. Wenn ich mich nicht sehr täusche, trägt die Kutsche dort das Wappen von Manvare.« Er zügelte den Gaul und trat den Bremsstock nach vorn, um ihr aus dem Wagen zu helfen.
»Des mecht denn zwei Achtelsilber, Sera«, sagte er in einem übertriebenen Dialekt und mit einem Funkeln in den Augen.
»Du hast einen Teil deines Barts verloren«, lachte sie und drückte ihm die Geldstücke in die ausgestreckte Hand, um dann nach ihren Hutschachteln zu greifen. »Ich melde mich bei dir«, versprach sie. »Und … danke.«
Raban schaute ihr nach, wie sie leichtfüßig die Treppe zur Tür hochging. »Gern geschehen«, sagte er leise und lachte. Lorentha in einem Kleid, dachte er, jetzt hatte er wirklich alles gesehen. Dann sah er die Kutsche kommen, die er vorhin so schön gefoppt hatte, sowohl der Kutscher als auch die ältere Sera sahen aus, als würden sie auf Nägeln kauen, besser, dachte er, ich mache mich davon. Allerdings tippte er höflich an seinen Hut, als er die andere Kutsche passierte, was ihm nur einen mörderischen Blick des Kutschers einbrachte.
Der Tempel Isaeths
13 Ein paar Stunden später und mit deutlich knurrendem Magen sah sie Raphanael auf den Tempelstufen, wo er ruhelos auf und ab ging, sein Gesicht in Sorgenfalten gelegt; erst als er sie aus der Kutsche steigen sah, hellte es sich auf.
»Bin ich zu spät?«, fragte sie lächelnd, als er sie mit einer leichten Verbeugung begrüßte.
»Nein, ich war nur in Sorge«, antwortete er, während er seinen Blick über sie gleiten ließ.
»Ein hübsches Kleid«, sagte er dann mit einem Funkeln in den Augen. »Aber erst durch Euch gewinnt es an Eleganz.«
»Danke, Herr«, grinste sie und tat einen kleinen Knicks. »Auch Euren Hosen fehlt es nicht daran. An was sollen die Stickereien am Saum diesmal erinnern?«
»An nichts«, lachte er. »Es ist angeblich die neueste Mode im Kaiserreich. Hat jedenfalls der Schneider behauptet, der mir dafür viel zu viel abknöpfte. Ich habe sie nur für Euch angezogen, damit Ihr diesmal keinen Grund zur Beschwerde habt.« Er drehte sich spielerisch. »Ich hoffe, dass sie Euch gefallen, sonst muss ich ihn leider schlagen lassen.«
»Lasst
Weitere Kostenlose Bücher