Der Falke von Aryn
zwang sich zu einem Lächeln. »Wenn es ein wenig hilft, ist das auch schon besser.«
Arin nickte und gab Lorenthas Hand frei, um dann festzustellen, dass alle Augen auf ihr lagen.
»Habe ich das eben falsch gesagt?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete Lorentha leise. »Das hast du nicht.«
»Wie alt ist sie?«, fragte Lorentha etwas später, als er ihr in die Kutsche half.
»Irgendetwas zwischen acht und achthundert«, antwortete er und schüttelte erstaunt den Kopf. »Wir sind uns da nicht mehr sicher. Sie ist ein Wunder und kann mich jeden Tag aufs Neue überraschen. Sie scheint Euch zu mögen.«
»Ich mag sie auch«, gestand Lorentha. »Waren wir nicht schon beim Du?«
»Richtig«, sagte er und lächelte etwas schief. »Ich vergaß.«
Doch den Rest der Fahrt zum Haus der Gräfin war er schweigsam und in sich gekehrt, zwar sah er immer wieder zu Lorentha hin, aber er schien tief in Gedanken versunken.
Sie störte es nicht. Sie kannte es von einigen Kameraden in der Garda. Manchmal sagten sie halt nichts, und so konnte sie ihren eigenen Gedanken nachhängen.
»Wollt Ihr ihn sehen?«, fragte Raphanael überraschend.
»Wen?«, fragte sie.
»Den Mörder. Der Gouverneur kann es sicherlich einrichten und …«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich habe von Tod vorerst genug.«
Zu viel der Ehre
21 Sie hatten die Gräfin verpasst, doch das machte nichts, Lorentha wollte sich nur schnell umkleiden. Doch in ihrem Zimmer angekommen, sah sie erstaunt, dass dort ein Mädchen dabei war, ihre neuen Kleider einzupacken.
»Ihre Gnaden hat gesagt, dass Ihr abreisen würdet und ich packen soll«, erklärte das Mädchen, als es gefragt wurde.
»Das ist ein Irrtum, ich hege nicht die Absicht, die Stadt zu verlassen«, sagte Lorentha, und das Mädchen knickste höflich. »Sie sagte auch, dass man Euer Gepäck zum Stadthaus von Lord Manvare schicken würde.«
Da sich das Mädchen hauptsächlich darauf beschränkte, ihre neuen, zum Teil nie getragenen Kleider in die ebenfalls neuen Koffer zu packen, zuckte die Majorin nur mit den Schultern. Solange ihre Seekiste nicht angerührt wurde, konnte sie damit leben. »Sie irrt. Aber geht jetzt, ich will mich ankleiden.«
Ihre Rüstung und anderes hatte das Mädchen unangetastet gelassen, mehr brauchte Lorentha im Moment nicht. Als sie die Treppe hinuntereilte, sah sie unten Raphanael stehen, und als er sie kommen sah, lächelte er.
»Ich habe dieses Lächeln vermisst«, teilte er ihr höflich mit. Sie auch das seine, dachte sie, und ihre Laune hob sich etwas. Jetzt, da sie ihre Rüstung und den goldenen Wolf wieder trug, fühlte sie sich wieder wie sie selbst.
Sie hielten sich nicht länger auf, und das Erste, was Lorentha tat, als sie seine Kutsche erreichten, war, ihre Schwerter wieder einzuhängen. Kein Leuchten, aber das hatte sie auch nicht erwartet.
Es gab noch einen weiteren Grund, weshalb sie ihre Rüstung angezogen und sich den goldenen Wolf der Garda angesteckt hatte. Larmeth hatte es ihnen nach dem Frühstück, als Arin mit dem Hauslehrer nach oben gegangen war, erzählt.
»Ich habe jeden der Diener unserer Göttin befragt, vom Tempeldiener, Novizen, bis zum Kardinal, sogar die Gärtner in der Tempelschule«, seufzte sie und nickte dankbar, als Barlin ihr den Tee nachschenkte, während sie sich zugleich streckte und dann verhalten gähnte. »Entschuldigt«, bat sie. »Ich habe seit gestern kein Auge zubekommen.«
»Ich kenne das Gefühl«, meinte Raphanael. »Was hast du herausgefunden?«
»Es war die Garda«, sagte sie, und Lorentha setzte sich ruckartig gerade hin. Eigentlich, dachte sie, hätte sie empört sein sollen, doch obwohl sie der Priesterin nicht glauben wollte, tat sie es doch. Die Erinnerung an diesen betrunkenen Soldaten der Garda kam wieder auf. Dennoch … »Wie meint Ihr das?«
»Es ist ein logischer Ausschluss«, erklärte die Priesterin müde. »Der Falke ist schwer, es ist für einen starken Mann möglich, ihn davonzutragen, aber nicht ohne dass es auffällt. Zum anderen brauchten sie mindestens zweieinhalb Stunden, um den Falken gegen die Kopie zu ersetzen, und zudem Zugang zum Lager hinter dem Altarraum, wo die Kopie in einer Kiste aufbewahrt wurde. Bei dem Gewicht und der Unhandlichkeit des Falken waren zumindest zwei, wenn nicht noch mehr Männer beteiligt, und er musste zudem noch ungesehen aus dem Tempel gebracht werden. Wir nehmen im Tempel die Horen ernst, und die Zeit zwischen den Gebeten ist zu kurz. Zudem
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