Der Falke von Aryn
Jahrzehnten. Der einzige Schluss, der mir möglich ist, besagt, dass Euer Talent und das Eurer Mutter in großen Teilen identisch sein müssen. Was nicht hätte möglich sein dürfen« Er schaute sie fragend an.
»Darüber weiß ich nichts«, sagte sie. »Aber ich kann dir versichern, dass ich keine Ausbildung erhalten habe.«
»Vielleicht in den Jahren, die Ihr vergessen habt?«, fragte er vorsichtig.
»Ich vergaß sie nur für etwas mehr als drei Wochen«, gestand sie ihm. »Meine Erinnerung ist nicht perfekt, aber ich kann dir versichern, dass mir keine Tage oder Wochen fehlen.«
»Es müssten Jahre sein«, sagte Raphanael leise. »Irgendjemand hat Euer Talent über Jahre, vielleicht Euer ganzes Leben lang geformt, und Ihr sagt, Ihr wisst nichts darüber?«
»Genau das. Ich weiß noch nicht einmal, was genau man mit Magie tun kann. Außer Kerzen anzuzünden, Waffen zum Leuchten zu bringen oder aber … die Zeit anzuhalten.«
»Das Erste ist eine Art Trick, den jeder Schüler als Erstes lernt. Das Zweite liegt in der Natur Eurer Atanamés , sie sind dafür geschaffen, mein Stab zum Beispiel leuchtet nicht. Das Dritte … das Dritte hätte ich für unmöglich gehalten, bis ich es selbst erlebt habe. Da Ihr vieles bereits nur vergessen habt, ist es möglich, dass ich Euch das eine oder andere lehren kann, aber es wäre trotzdem meine Empfehlung, dass Ihr Euch schnellstmöglich zu Eurem Orden begeben solltet, um Euch ausbilden zu lassen.« Er schaute sie direkt an. »Ihr hättet gestern Abend auf dem Ball auch die silbernen Flügel tragen können, Lorentha. Nach allem, was ich weiß, habt Ihr das Recht dazu. Ihr seid eine Walküre.«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass meine Welt sich gedreht hat, Raphanael. Die Hälfte von dem, was du mir sagst, verstehe ich nicht, und die andere Hälfte ergibt keinen Sinn, obwohl ich deinen Worten folgen kann. Es gab keine Ausbildung. Ich bin mir sicher, dass mich Mutter noch zu den Walküren gebracht hätte, aber dazu erhielten wir nicht mehr die Gelegenheit. Im Moment ist es auch zu viel für mich, ich muss all das erst einmal ordnen. Sag mir einfach, was ist es, das Walküren tun?«
»Äh, ja«, sagte Raphanael unbehaglich. »Soviel unser Orden weiß, verbinden die Walküren Magie mit Schwertkampf. Wir vermuten, dass die Stellung von Haupt- und Nebenwaffe zueinander bestimmte Formen der Magie begünstigt, führt und wahrscheinlich vor allem fokussiert.«
»Ihr vermutet«, sagte Lorentha nachdenklich. »Das bedeutet, dein Orden weiß es nicht?«
Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Die Orden der Hüter und der Walküren sind seit Jahrhunderten gegen einen gemeinsamen Feind verbündet, aber wir teilen nicht alle Geheimnisse. Den Legenden nach, die nur zum Teil von Aufzeichnungen bestätigt sind, verfügen zumindest manche Walküren über die Fähigkeit zu fliegen, was irgendwie naheliegend ist. Ihre Tränen sollen Wunden heilen und sogar Tote zum Leben zurückrufen können, und sie können Thors Hammer benutzen, mit einem Tropfen ihres Blutes verwandeln sie Wasser in Wein, der Krieger zehn Tage kämpfen lässt, ohne dass sie ermüden. Es soll auch nicht möglich sein, eine Walküre gefangen zu nehmen, sie kann sich aus allen Fesseln lösen. Der Rest ist das Übliche, das man allen Magiern zuschreibt. Ach ja, eines noch. Sie sollen imstande sein, zwischen der Welt der Toten und der Welt der Lebenden zu wechseln, was in Anbetracht ihrer Legende einen Sinn ergeben würde. Ich hörte allerdings noch nie davon, dass sie die Zeit anhalten können.«
»Das sind die üblichen Legenden«, stellte Lorentha fest. »Ich fragte einmal meine Mutter, ob sie stimmen, und sie lachte und sagte, ich solle nicht alles glauben. Ich sah, wie sie ihre Schwerter leuchten ließ, aber sie benutzte einen Kienspan, um Kerzen anzuzünden, immer. Sag, besteht noch immer die Gefahr, dass ich verbrenne oder Kutschen anhalte?«
»Nein. Zumindest nicht unmittelbar«, sagte er. »Was gut ist, da wir es uns nicht leisten können zu warten, bis Ihr mehr darüber gelernt habt, Eure Magie zu beherrschen. Meine Schwester hat noch einige Dinge herausgefunden, sie wird auch zum Frühstück erscheinen, und anschließend werden wir überlegen müssen, wie wir weiter vorgehen. Wenn … wenn Ihr noch bereit seid, den Raub des Falken aufzuklären.«
»Warum sollte ich es nicht sein?«, fragte sie erstaunt.
»Weil … weil Euer überraschender Auftritt gestern Abend erfolgreich war«,
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