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Der Fall Carnac

Der Fall Carnac

Titel: Der Fall Carnac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel-Aimé Baudouy
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Goya im Wert von zwei Millionen Mark in London gestohlen.
    Die Nationalgalerie hatte das Bild erst vor kurzem erworben. Es handelt sich um ein Porträt des ersten Herzogs Wellington aus dem Jahre 1812.«
    »Und dann dies«:
    In einer anderen Nummer der Zeitung stand ein Artikel, dessen Überschrift über drei Spalten ging:
    »Acht Bilder von Cézanne im Wert von einer Million Mark in Aix-en-Provence gestohlen...«
    Anne hob den Kopf. Es schien, als ob Line träumte, den Blick ins Leere gerichtet. Sie murmelte vor sich hin: »Das wäre toll!«
    »Du bist ja verrückt«, rief Anne. »Glaubst du etwa, daß...«
    »Ich glaube gar nichts. Ich denke.«
    »Du denkst, daß...«
    Line sprang auf.
    »Sehen wir doch nach! Man kann schließlich nie wissen!«
     
    Sie rannten in den Salon. Die Läden waren geschlossen, doch durch die Ritzen fiel das Licht mit schrägen Strahlen ins Zimmer. Die alten Möbel schimmerten im Halbdunkel.
    Mit hämmernden Herzen blieben die Mädchen auf der Schwelle stehen.
    Rechts und links vom Geschirrschrank bildeten die beiden kleinen Gemälde helle Flecke auf der dunklen Wand.
    »Das da«, sagte Anne mit ausgestrecktem Arm, »das ist Der Pfeifer von... ach, ich weiß nicht mehr, wie er heißt. Das Original hängt im Louvre. Auf der Rückseite hat es eine Inschrift. Und das andere, das ist Nanou.«
    »Nanou?«
    »Ja, du weißt doch, das alte Dienstmädchen meiner Großeltern. Es ist eine Fotografie, die nachher koloriert worden sein muß.«
    Anne nahm den vergoldeten Rahmen von der Wand und trug ihn zum Fenster. Die dargestellte Person war kaum zu erkennen. Es war ein kleines bretonisches Bauernmädchen, jedoch nur ein Brustbild. Zwischen der weißen Haube und der dunklen Jacke rundete sich ein jugendliches Gesicht mit vollen Wangen; den Hintergrund bildeten gelbe Wiesen mit roten Bäumen.
    Anne drehte das Bild um. Auf den Rahmen war eine einfache Holzplatte genagelt.
    Line griff nach dem Bild und ließ die Finger über das Porträt gleiten.
    »Das ist gemalt«, sagte sie. »Das ist kein Foto. Wer hat das gemacht?«
    »Das weiß ich nicht. Es hieß immer, es sei ein koloriertes Foto. Sieh dir doch die Bäume an!«
    »Das sind Apfelbäume.«
    »Rote Apfelbäume.«
    »Das schadet doch nichts.«
    »Wir nehmen es mit in die Küche, dort sehen wir besser.«
    »Bring das andere auch mit!«
    Bei dem Pfeifer gab es keine Zweifel. Es war eine Reproduktion, auf einen Karton geklebt.
     
    Auf der Rückseite konnte man lesen:
     
Manet, 1832-1883
Der Pfeifer, 1866
Museum des Louvre
     
    Das andere Bild dagegen konnten die Mädchen noch so lange hin und her drehen, es hatte keine Inschrift, keine Signatur, nichts!
    Nachdenklich betrachtete Line das junge rosige Gesicht, das kaum ausgeführt war.
    »Ob das vielleicht doch die Kleinigkeit ist, die die Leute stehlen wollten?«
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte Line. »Ich weiß es nicht. Aber wenn es das ist, was sie stehlen wollten, dann haben sie es genau richtig angefangen.«
    »Was heißt das? Was willst du damit sagen?«
    »Und nur Kikri hat sie dabei...«
    »Kikri?«
    »Ja... Wenn wir davon ausgehen, daß sich Kikri mit dem Dieb geschlagen hat...«
    »Daran ist nicht zu zweifeln.«
    »Und... und wenn er dem Dieb dieses Stück Stoff aus dem Anzug gerissen hat...«
    »Ach! Jetzt kommst du also doch zu dieser Ansicht!«
    »Still!« erwiderte Line. »Stör mich nicht! Ich denke nach. Aber dort drüben können wir es besser sehen. Komm!«
    Line blieb auf der Schwelle des Salons noch einmal stehen. Ihr Blick wanderte vom Fenster zum Geschirrschrank.
    »Wir wollen mal überlegen«, sagte sie. »Der Dieb kommt. Er öffnet den Haken, hebt den Fensterladen aus den Angeln und legt ihn auf die Erde. Er drückt einen Sauggummi auf die Fensterscheibe und schneidet das Glas heraus. Mit einem leichten Schlag löst er die Scheibe aus dem Rahmen und lehnt sie an die Mauer. Er schiebt den Arm durch das Loch, dreht den Fensterriegel, öffnet das Fenster und steigt ohne Mühe ins Zimmer. Er braucht nur das Bein zu heben. So, nun ist er hier.«
    Line stellt sich vor das Fenster. Ihr Gesicht war so gespannt, daß die Freundin ihren Worten mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit folgte.
    »All das ist ohne den geringsten Lärm geschehen. Kikri ist nicht einmal aufgewacht.«
    Line streckte den Arm aus.
    »Kikri ist dort drüben und sitzt ganz außen in diesem Fach. Warum ist Kikri schließlich doch auf gewacht? Weil der Dieb ihm nahe gekommen ist. Weil er das Bild abnehmen

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