Der Fall Carnac
Diebstahl endete.
Der Ausführende bei diesem letzten Einbruchsversuch war Don Ameal. Das war ziemlich sicher.
Don Ameal wollte sich also um jeden Preis eines Gegenstandes bemächtigen, den er auf andere Weise nicht erhalten konnte.
Welcher Gegenstand war das? Dieses Bild, das man ihm nicht hatte verkaufen wollen? Dann mußte dieses Bild also wertvoll sein, so wertvoll, daß er einen Einbruch dafür wagte...
Da war sie wieder an diesem Punkt. Alle Überlegungen, alle Vermutungen, die sie tausendmal von neuem anstellte, liefen darauf hinaus, daß dieses Bild, das eine kleine Bretonin darstellte, großen Wert hatte.
Völlig wach richtete sich Line vom Kissen auf.
Der Morgen graute. Mit einer raschen Bewegung warf sie die Bettdecke zurück und lief zum Fenster.
Es war gar nicht der Morgen, sondern der Mond, der rund und weiß über die Bäume stieg.
Die Nacht war mild und still. Es mußte Flut sein. Man vernahm das Geräusch der Wellen, die an den Fuß der Düne schlugen.
»Line... wie spät ist es denn?«
»Ich weiß nicht. Es ist noch Nacht.«
»Ich kann auch nicht schlafen.«
Anne saß im Bett. Line setzte sich zu ihr.
»Ich muß dauernd an dieses Bild denken«, sagte Anne. »Wir müssen etwas unternehmen. Wenn es wirklich Wertvoll ist...«
»Wir müssen herausfinden, woher es stammt. Wie ist es in euer Haus gekommen? Könntest du nicht deine Mutter fragen?«
»Mama weiß nichts darüber. Davon bin ich überzeugt. Wenn sie auch nur im Traum geglaubt hätte, daß es irgendwelchen Wert hat, hätte sie es längst verkauft.«
»Wer könnte uns sonst etwas darüber sagen?«
»Man müßte es einem Kenner zeigen, einem Fachmann... ich weiß ja nicht...«
»Wenn wir nur wüßten, von wem es ist. Vielleicht hat es ja doch eine Signatur, und wir haben sie nur nicht gefunden.«
»Aber selbst wenn es gezeichnet ist, könnte es eine Fälschung sein.«
»Das könnte uns ein Fachmann sagen.«
»Don Ameal ist vielleicht Fachmann, weil er doch Antiquitätenhändler ist.«
»Damit kommen wir auch nicht weiter«, murmelte Anne bedrückt. »Was können wir nur tun?«
»Weißt du keinen Menschen, der uns etwas über die Herkunft dieses Bildes sagen könnte?«
»Ich weiß nicht, ich überlege.«
»In eurer Familie vielleicht?«
»Wir haben keine Verwandten.«
Die beiden Freundinnen saßen schweigend nebeneinander.
»Wie bin ich doch dumm!« rief Anne plötzlich. »Wir haben ja Nanou.«
»Lebt Nanou denn noch?«
»Natürlich. Sie ist schon sehr alt.«
»Wir können sie ja besuchen und uns bei ihr erkundigen. Wo wohnt sie denn?«
»In La Trinité. Ihr Mann war Fischer.«
»Gut, dann fahren wir morgen nach La Trinité... Wollen wir den Jungen was davon sagen?«
»Damit wollen wir lieber warten. Es wird besser sein, wenn sie hierbleiben und das Haus bewachen. Schließlich können wir uns nicht unbedingt darauf verlassen, daß es wirklich das Bild ist, das der Dieb gesucht hat. Vielleicht gibt es andere Dinge im Haus.«
»Wenn wir nun versuchen würden zu schlafen?« sagte Line.
»Ja. Ach, übrigens, wo hast du das Bild eigentlich hingetan?«
Line verriet ihr das Versteck.
Anne lachte.
»Kein Mensch wird auf die Idee kommen, dort danach zu suchen.«
Die beiden Mädchen waren um sieben Uhr in der Küche. Sonst war es noch still im Haus.
Die Sonne stand schon hoch und beleuchtete die Front der Überholwerft.
Das Bild wurde aus seinem Versteck geholt und noch einmal genau untersucht. Doch Nanous Porträt wollte sein Geheimnis nicht preisgeben: es war keine Signatur zu sehen. Auch der Rücken der Holztafel gab keinen Hinweis.
»Man könnte meinen, es sei der Deckel einer Zigarrenkiste«, sagte Anne.
»Die müßte aber groß gewesen sein.«
Sie maßen nach: einundzwanzig mal siebenundzwanzig Zentimeter. Ja, das war eine große Kiste für hundert Zigarren.
Anne hob das Bild an die Nase.
»Es riecht nur nach altem Holz und nach Staub«, sagte sie.
Line lächelte. Der Tabakgeruch mußte längst verflogen sein.
»Wenn man denkt, daß dieses kleine Dienstmädchen vielleicht die Überholwerft retten wird!« murmelte Anne.
Für die Fahrt wurde das »kleine Dienstmädchen« in eine alte Zeitung gewickelt und dann in einen Mehlbeutel geschoben, der fest auf dem Gepäckträger von Annes Rad angebunden wurde.
Als die Jungen in der Küche erschienen, waren die beiden Freundinnen bereit abzufahren.
»Wir müssen Einkäufe machen«, sagte Line. »Inzwischen könnt ihr die Scheibe im Salon einsetzen. Aber geht
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