Der Fall Collini
Kopf war selbst in der Dunkelheit nochrot. Leinen stand auf und gab ihm die Hand. Baumann setzte sich auf eine andere Bank neben ihn.
»Mattinger hat ein schönes Haus«, sagte Baumann. »Ich bin gespannt auf das Seefeuerwerk.«
»Wahrscheinlich zu viel Nebel, um es gut zu sehen«, sagte Leinen.
»Ja, vielleicht. Wie läuft der Prozess?«
»Danke«, sagte Leinen. Er wollte nicht darüber sprechen. Er sah wieder raus auf den schwarzen See.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen«, sagte Baumann.
»Einen Vorschlag?«
»Es ist so: Mir ist es gleichgültig, welche Strafe Ihr Mandant bekommt. Völlig gleichgültig sogar.« Baumann schlug die Beine übereinander.
»Sicher die richtige Haltung.« Leinen mochte das Gespräch nicht.
»Ich sag es ganz offen, Herr Leinen: Wir wissen, dass Sie in Ludwigsburg waren.«
Leinen schaute Baumann an.
»Legen Sie das Mandat nieder. Es ist das Beste für Sie«, sagte Baumann.
Leinen schwieg. Er wartete ab.
»Wissen Sie, ich war auch mal Anwalt. Ich weiß, wie verbissen man arbeitet, wie ehrgeizig man ist. Man setzt alles an so einen Fall, man glaubt, es sei das Wichtigste überhaupt. Wenn Sie irgendein jungerAnwalt wären, wäre es mir egal. Aber Sie gehören ja irgendwie doch zur Familie Meyer, Sie haben eine Zukunft vor sich und …«
»Und?«
»… Sie können ohne Weiteres raus aus dem Verfahren. Die Meyer-Werke bezahlen einen Wahlverteidiger, wir haben schon jemanden, der das machen würde. Damit wären Sie automatisch entpflichtet und dieses Mandat los.« Baumanns Stimme hatte sich nicht verändert, er klang immer noch freundlich. Das große Boot war jetzt so nah, dass man die Menschen durch den Nebel hörte. Eine Frau schrie hell, dann lachte sie. Die Positionslampen beleuchteten den Steg, sie spiegelten sich in Baumanns Brille.
Baumann lehnte sich vor und legte seine Hand auf Leinens Arm. Er sprach mit ihm jetzt fast wie mit einem Kind. »Verstehen Sie nicht, Herr Leinen? Ich mag Sie, Sie stehen ganz am Anfang, Sie haben eine Karriere vor sich. Versauen Sie sich jetzt nicht alles.«
»Bitte, Herr Baumann, genießen Sie das Fest. Es ist nicht der richtige Ort.«
Baumanns Stimme hörte sich gepresst an, es klang, als spräche er unter großer Anstrengung. »Hören Sie, wir wissen nicht, was Sie in Ludwigsburg ausgegraben haben … wir wollen es auch gar nicht wissen.Aber wir sind darauf angewiesen, dass der Prozess schnell beendet wird. Jeder Tag in der Öffentlichkeit schadet dem Unternehmen.«
»Ich kann es nicht ändern.«
»Doch, das können Sie.« Baumann atmete laut. »Stellen Sie keine Anträge. Lassen Sie das Verfahren einfach zu Ende gehen. Lautlos, verstehen Sie?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Wir würden mit dem Gericht reden und erklären, dass wir mit einer milden Strafe einverstanden sind.«
»Ich glaube nicht, dass das eine Rolle spielt.«
»Wir würden darüber hinaus für das Entgegenkommen Ihres Mandanten eine Entschädigung bezahlen.«
»Sie würden was …?«
»Wir würden bezahlen. Eine hohe Summe, damit der Prozess zu Ende geht.«
Leinen brauchte einen Moment. Sein Mund wurde trocken. Sie hatten beschlossen, die Vergangenheit eines Menschen zu kaufen.
»Sie wollen eine Entschädigung zahlen, damit ich darauf verzichte, Collini ordentlich zu verteidigen? Meinen Sie das wirklich ernst?«
»Es ist der Vorschlag des Vorstandes«, sagte Baumann.
»Weiß Johanna Meyer davon?«
»Nein, es ist eine Sache zwischen der Firma und Ihnen.«
Das alles konnte nur heißen, dass sie Angst hatten, dachte Leinen. Er hatte alles richtig gemacht. Aber es befriedigte ihn nicht, das zu wissen.
»Kommen Sie schon …« Baumanns rotes Gesicht wurde kurz von einem kleinen Bootsscheinwerfer angeleuchtet. »… Sehen Sie sich doch an: Sie haben ein Büro im Hinterhaus, Ihr Wagen ist fünfzehn Jahre alt, und Sie ärgern sich mit Kleindealern und Wirtshausschlägereien herum. Eine befreundete Bank hat gerade ein Problem in Düsseldorf, es wird wohl der größte Insider-Prozess der Nachkriegszeit. Wenn Sie wollen, können Sie einen der Angeklagten vertreten. Sie würden gut verdienen: Der Tagessatz beträgt 2.500 Euro plus Nebenkosten. Die Hauptverhandlung wird ein Jahr laufen, mindestens hundert Tage. Wir werden Ihnen helfen, wenn Sie das wollen. Wir können Ihnen auch andere Mandate anbieten. Denken Sie nach, Herr Leinen. Das, was Sie jetzt tun, wird den Rest Ihres Lebens bestimmen …«
Baumann sprach weiter, aber Leinen hörte ihm nicht mehr zu.
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