Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
getauft worden bin. Irgendwann bin ich aus
der Kirche ausgetreten. Leider wurde es mir von oberster Stelle verweigert,
mich offiziell dem Judentum anschließen zu können, da ich an Jesus glaube. Und
messianische Juden sind auch in Israel die Minderheit und werden von den
Rabbinern vehement abgelehnt. Da mein Vater Jude war und meine Mutter nicht,
bin ich leider nicht automatisch auch Jüdin. In Israel sagt das Gesetz, dass
die Kinder einer jüdischen Mutter automatisch auch Juden sind. Vor 400 Jahren
war das umgekehrt, ich bin also, was meine Person betrifft und wie ich fühle,
zu spät geboren.
Mittlerweile
lege ich keinen Wert mehr auf die israelisch-rabbinische Gesetzgebung und
verstehe mich mit allem, was in mir ist, als Jüdin. Durch und durch und schon solange,
wie ich denken kann. Warum es für mich so wichtig und diesen unglaublich hohen Stellenwert
in meinem Leben, hat, weiß ich nicht. Es ist eben einfach so.
Ich
war vierzehn und durch Anette hatte ich ja den Kontakt zu der Clique ihres
Bruders – den Karten-Ratschern. Ich buhlte und buhlte und suchte Anerkennung. Anette
hatte, was die Freunde ihres Bruders betraf, immer den richtigen Riecher im
Umgang mit den zwei bis drei Jahre älteren Jungs. Ich nicht! Ich weiß nicht
mehr genau, wie ich mich verhalten habe, ich kann mich nur noch daran erinnern,
dass ich vollkommen unsicher war, wenn ich mit Anette zusammen beim Treffpunkt
der Clique war und dass ich mich bei jedem Satz, den ich stotternd und mit
gesenktem Kopf rausbrachte, klein fühlte. Ich grübelte permanent, ob ich mich mit
dem, was ich sagte, mal wieder lächerlich gemacht haben könnte.
So
kam ich dann auch rüber.
Ich
hatte eine neue Jacke bekommen. Sie war hellblau und hatte eine Kapuze mit
einem schönen Fellrand. Ich war ganz stolz darauf und zog sie das erste Mal an,
als ich mich mit Anette am Nachmittag auf den Hof unseres Schulgeländes ging,
um mit den Jungs abzuhängen. Es lag Schnee.
„Hey,
guck mal!“ Stolz tippte einer der Gang sich auf den Button, das er auf seinem
grünen Parker stecken hatte. Schwarzer Untergrund mit einem dicken, roten Hakenkreuz.
„Wie findest du das?!“ Ein breites Grinsen in seinem Gesicht. Ich kannte diese
Anspielungen von ihm zur Genüge und die Worte „Heil Hitler“ hatte ich schon
mehr als einmal von ihm gehört. Und trotzdem, ich ging immer und immer wieder
hin ...
„Ist
doch klasse, das Teil, oder? Sag doch mal!“
Ich
stotterte irgendwas Ähnliches wie „Äh, ich finde das nicht so gut, aber ich …
äh ...“
In
einer Ecke des Fahrradunterstandes, wo wir waren, lag ein großer Haufen
Hundescheiße. „Eigentlich gehören Judensäue da rein!“, sagte er und ehe ich
mich versah, packte er mich an den Armen, drückte mich zu Boden und setze mich
mitten in den Haufen rein.
Ich
kann mich nicht mehr an die Reaktion der anderen erinnern. Ich lief, lief
gedemütigt und verletzt, weinend nach Hause. Meine Jeans und meine neue Jacke
waren von oben bis unten beschmiert mit Hundekot.
„Was
musst du den Jungs auch hinterherlaufen!“ Meine Mutter stand mit fragendem
Blick vor mir und ihre Mimik verriet mir, dass sie mal wieder überhaupt nicht nachvollziehen
konnte, warum ich mich verhielt, wie ich es tat. „Und überhaupt. Warum musst du
überall rumerzählen, dass du Jüdin bist? Du machst dich lächerlich. Geh einfach
nicht mehr da hin!“
Ich
weiß nicht, ob es Konsequenzen gehabt hätte, wenn mein Vater davon erfahren
hätte. Es wurde nicht mehr darüber gesprochen. Nur meine Brüder grinsten noch
eine Zeit lang herum. „Kleine, du hast sie ja nicht alle. Was erzählst du auch für
eine Scheiße. Du bist Jüdin? Du spinnst doch!“
Es fragt mich niemand, warum ich denke, ich „bin“
es will niemand wissen, was in mir ist,
und warum es so ist.
Ich bin zu doof, um ernst genommen zu werden
und es wird mir so lange eingeprügelt,
bis ich es selber glaube.
Warum soll ich mich um mich bemühen,
wenn es die, die ich liebe, schon nicht können ...
Es ist schön, ein unbeschwertes
und unbefangenes Teenageralter zu durchleben, zumindest könnte ich mir das
vorstellen.
Der
Pausengong läutete, es war große Pause in der hiesigen Schule, die ich
besuchte. Meine Klassenkameraden standen tuschelnd in der Ecke und schielten
immer wieder zu mir rüber. Ich war verunsichert, konnte nicht vorstellen, was
sein sollte. Ich war doch eigentlich beliebt und als Großmaul und
Lehrerprovozierer hatte ich mir sogar einen gewissen
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