Der Fall des Lemming
Computer? Mein Mann? Ha! Haha! Das muss man sich auf der Zunge … Der hat doch nicht einmal … Geh, hören S’ mir auf! ‹Das ganze moderne Zeug brauchen wir nicht!›, hat er mir dauernd vorgebetet … Glauben S’, ich hab bis heute früh auch nur einen Geschirrspüler gehabt? Sie sind mir ein Kasperl, Herr Waschi, also wirklich, genauso ein Schmähtandler wie Ihre Kollegen von der Kripoli … Krimipo … wurscht. Die tanzen hier an und bringen mir so ein … so ein Handytelefon und behaupten steif und fest, das hat dem Friedrich gehört! Und dann räumen s’ ihm noch den Schreibtisch aus und nehmen alles mit – die ganzen verstaubten Schulakten … Meiner Seel, Herr Waschi … Auf die Art werden S’ den Mörder nie erwischen …»
«Frau Grinzinger?»
«Was?»
«Sie sind … eine wunderbare Frau. Sie sind ein Schatz!»
«Aber gehen S’, Sie Charmeur … Herr Waschi?»
«Ja?»
«Wollen S’ nicht doch noch vorbeikommen? Auf ein Glaserl Schampus?»
«Ein anderes Mal gerne, Frau Grinzinger. Aber heute … Sie wissen ja, die Verbrecherjagd …»
Der Lemming legt auf. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Als er sich auf den Weg nach unten macht, fällt ihm der Name der Operette ein, mit der Nora Grinzinger an diesem Abend ihre neu gewonnene Freiheit zelebriert. Es ist jenes Stück, das Karl Kraus nach seiner Uraufführung als «eine unbeschreibliche Gemeinheit» bezeichnet hat. Es ist die Lustige Witwe .
In Klara Breitners Bauernstube hat sich inzwischen intensiver Kaffeeduft ausgebreitet. Neue Kerzen erhellen den Tisch, und zwischen ihnen funkelt ein großes, zylindrisches Glasgefäß, eine französische Pressstempelkanne, wie Janni gerade erklärt.
«Das Sieb», sagt er streng, «musst du öfter reinigen. Wegen der Ölrückstände; die werden ranzig mit der Zeit. Und auf den Mahlgrad achten: nicht zu fein, Klara. Und erst nach vier Minuten den Filter hinunterdrücken, ganz sanft, mit zwei Fingern, und …»
«Grinzinger hat diesen Brief nicht geschrieben. Er hat auch die Polizei nicht gerufen», unterbricht der Lemming.
«Was? Wie bitte? Was haben Sie gesagt?»
In aller Ruhe nimmt der Lemming Platz und berichtet den anderen von seinem Telefonat.
Klara Breitner ist die Erste, die die Fassung wiederfindet. «Aber das heißt doch …»
«Ja. Das heißt, dass die Sache von langer Hand geplant war. Irgendjemand hat Sie, Herr Diodato, aus Triest nach Wien gelockt, um Ihnen …»
«… den Mord in die Schuhe zu schieben …»
«So ist es. Er muss gewusst haben, dass Grinzinger um zwei Uhr auf dieser Wiese sein würde, und er hat Sie eine halbe Stunde später dahin bestellt. Genügend Zeit, um den Alten umzubringen und um kurz vor Ihrem Eintreffen am Tatort die Polizei zu holen. Er hat in dieses Handy gekeucht, damit es so aussieht, als ob Grinzinger selbst … Und hat dann das Telefon bei der Leiche liegen lassen. Klar, wenn man Sie da gefunden hätte – David Neumann, den tot geglaubten Erzfeind Grinzingers … Stattdessen war ich es, der zu Handkuss und Handschellen gekommen ist. Damit, dass der Lehrer einen Leibwächter engagieren würde, hat der Mörder nicht gerechnet …»
«Aber … warum eine halbe Stunde? Warum so lange?»
«Vielleicht, weil er sich absichern wollte, falls Ihnen die Flucht gelingt. Er hat ein wenig Zeit gebraucht, um Ihre Visitenkarte in Grinzingers Portemonnaie zu stecken. Osteria Arcangeli . Früher oder später wäre man auf Ihre Spur gekommen, Signore Diodato. Aber vor allem …», fügt der Lemming hinzu und greift in die Jacke, die über seiner Stuhllehne hängt, «vor allem hat er etwas gesucht …» Langsam holt der Lemming das Päckchen aus der Tasche. Schiebt es behutsam über die Tischplatte, bis es zwischen den flackernden Kerzen liegt. Zieht dann die Hand zurück.
«Mein Gott …», stößt Max Breitner hervor.
Janni bleibt still. So still, dass es scheint, er habe zu atmen aufgehört. Der Lichtschein tanzt in seinen Augen, die auf der Brille seines Vaters ruhen. Dann erst, ganz allmählich, steigen die Tränen auf. Er streckt zögernd den Arm aus.
«Nicht aus der Hülle nehmen …», sagt der Lemming sanft, «vielleicht sind ja Fingerabdrücke darauf …»
Ein kurzes, geistesabwesendes Nicken. Dann ein ängstliches Herantasten, Zurückweichen, ein zitterndes Berühren, Befühlen, Streicheln. Das Zellophan knistert leise zwischen Jannis Fingern.
«Der Beweis», flüstert er. «Grinzingers Beweis.»
«Sie meinen … dass
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