Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Thorsten habe auch seine Tochter missbraucht – Tatjana. Wir erinnern uns: »Da sollen mir lieber die Hände abfallen«, hatte Thorsten damals geantwortet, als Kommissar Holzer von der Soko Peggy ihn auf ebenjenes Mädchen ansprach. Und damals hatte der Ermittler ihm das glauben müssen, auch wenn Zweifel blieben. Heute könnte er Thorsten damit konfrontieren, dass ein Psychiater ihn als pädophil einstufte, und auch damit, dass Thorsten dies nicht mehr bestreitet. Oder dass er seine eigene kleine Tochter missbrauchte, ohne dass ihm eine Hand abgefallen wäre. Oder damit, dass Maik Kaiser ihn angezeigt hat, weil er dessen Tochter auch missbraucht haben soll.
Hätte Kommissar Holzer all das schon zwölf Jahre vorher gewusst und Thorsten damit konfrontiert, dann hätte er als Nächstes noch einmal fragen können, was zwischen Thorsten und Peggy vorgefallen war. Er hätte Thorsten warnen können, dass er sich die Antwort gut überlegen solle, denn er habe bisher bei jedem Mädchen behauptet, alles sei harmlos gewesen, man habe sich einfach nur gut verstanden und sympathisch gefunden. Und jedes Mal steckte eben doch mehr dahinter.
Kommissar Holzer war damals übrigens nicht der Einzige, der Engelhard verdächtigte. Ein Jahr nachdem er ihn in Halle vernommen hatte, ging auch die Soko Peggy 2 dieser Spur nach. Sie hielt es zudem für möglich, dass Maik Kaiser seinem Bruder-Neffen geholfen haben könnte, Peggys Leiche verschwinden zu lassen. Am 5. Juni 2002 wurde Kaiser von den Sonderermittlern zum Verhör geladen und hart rangenommen. Er habe versucht, ein Bild von seiner Festplatte zu löschen, bevor die Polizei seinen Computer beschlagnahmte, warfen sie ihm vor. Es war das Bild, das Thorsten in inniger Umarmung mit Peggy zeigt. Maik Kaiser gab den Löschversuch zu. Die Polizisten wollten dann wissen, wie Maik das Verhältnis zwischen Thorsten und Peggy einschätzte. Der antwortete, Thorsten, obwohl »ein paar Tage« älter als Peggy, habe viel mit ihr »gespielt«. Er könne sich zwar »nicht vorstellen, dass Thorsten mit Peggy intim geworden ist«, aber als der im Sommer 2000 zu Besuch war, da habe er die Möglichkeit durchaus gehabt. Denn: »Teilweise war er auch alleine mit Peggy in der Wohnung.«
Und dann sagte Maik Kaiser einen Satz, der im wörtlichen Protokoll fehlt, weil er von der Schreibkraft versehentlich nicht mitgeschrieben wurde. Die Beamten notierten in einer Aktennotiz, was sie ihn sinngemäß sagen hörten. Demnach sagte Kaiser: »Wenn ich sie [gemeint Peggy] versteckt hätte, dann würde man sie nie finden.«
Was denkt sich ein Mann, der so einen Satz sagt? Wir hätten Maik Kaiser gern gefragt, wie er das meinte. Er lehnte den Kontakt zu uns nach anfänglichen Telefonaten aber ab. Seine Bemerkung provozierte die Ermittler. Die Art, wie sie sie protokollierten und auffällig in der Akte plazierten, ist unmissverständlich. Sie hätten gern herausgefunden, ob Kaiser das nur so dahersagt hatte oder ob mehr dahintersteckte.
Deutlich wird hier aber noch etwas anderes: Auch die Soko 2 war sich im Frühsommer 2002 nicht mehr sicher, den Fall schnell zu einem Ende bringen zu können. Die erste heiße Spur – Ahmet Yilmaz – hatte definitiv in eine Sackgasse geführt. Die zweite heiße Spur – Ulvi Kulac – drohte ebenfalls zu scheitern, denn die Ermittler hatten trotz aller Bemühungen keinen Beweis gefunden. Die dritte heiße Spur war die auf Thorsten Engelhard. Wolfgang Geier und seine Sonderkommission begannen gerade erst, sich näher mit ihr zu beschäftigen. Das Verhör mit Maik Kaiser im Juni 2002 wäre der Einstieg in diesen Ermittlungsstrang gewesen.
Aber wenige Wochen später lieferte Ulvi Kulac sein Geständnis. Die Spur auf Thorsten Engelhard war damit überflüssig. Niemand interessierte sich mehr dafür. Der Fall Peggy konnte auch so abgeschlossen werden.
Teil 5
Im Namen des Volkes
Kapitel 33
Peggy – nur ein Einzelfall?
I st so etwas eine gängige Methode? Einen Fall irgendwie abzuschließen, ohne mit Gewissheit die Wahrheit ermittelt zu haben? Der Fall Peggy ist offensichtlich kein Einzelfall. In den letzten Jahren wiederholte sich das Muster immer wieder. Es handelt sich meist um Fälle mit Sensationspotenzial, über die viel öffentlich berichtet wurde. Die Ermittlungen folgen stets ähnlichen Mustern und Abläufen. Zunächst tritt ein dominanter Chefermittler auf, der für das Versprechen an die Öffentlichkeit steht, den Fall alsbald zu lösen und den oder die
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