Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Streifenbesatzung und ein Kripo-Beamter fuhren zur angegebenen Adresse. Es war die Wohnung von Thorsten Engelhard. Sie beschlagnahmten einen PC, einen Laptop und eine Kamera. Die beiden Computer erwiesen sich als Treffer. Die Dateien, die die Ermittler bei ihrer »anlassunabhängigen Recherche« gefunden hatten, fanden sich tatsächlich auf der Festplatte. Allerdings waren die Bilder und Videos nicht mit der beschlagnahmten Kamera geschossen worden. Die Exif-Daten der Bilder passten nicht. Aber etwas anderes passte: Das missbrauchte Mädchen war eindeutig identifizierbar. Es war die jüngere von Thorstens Töchtern, damals erst zwei Jahre alt. Außerdem war eindeutig, dass die Bilder in seiner Wohnung aufgenommen worden waren. Bei einer zweiten Hausdurchsuchung fanden die Ermittler schließlich auch die passende Kamera, versteckt in einem Schrank.
Am 10. August 2012 wurde Thorsten Engelhard festgenommen und wanderte in Untersuchungshaft. Die Polizei zwang ihn zu einer sogenannten Nackt-ED. »ED« steht für erkennungsdienstliche Behandlung. Ein peinlicher Test, bei dem der gesamte Körper unbekleidet auf wiedererkennbare Merkmale untersucht wird. Und auch dabei landeten die Ermittler einen Treffer. Der Mann auf den Fotos war Thorsten Engelhard. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter an, außerdem dafür, dass er kinderpornographische Bilder und Videos in Umlauf brachte.
Im Februar 2013 begann der Prozess. Auf der Zuschauerbank drängten sich viele von Thorstens Freunden, was ihm sichtlich unangenehm war. Auch Otto und Dietlinde Engelhard waren gekommen. Aber schon kurz nach Beginn der Verhandlung wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Das blieb auch bis zur Urteilsverkündung so. Daher bekamen nur ein paar Eingeweihte mit, dass die Beweisaufnahme nur wenige Minuten dauerte. Die Vorsitzende Richterin und ihre Beisitzer bekamen die Bilder zu sehen, die die LKA-Spezialisten im Netz gefunden hatten, dazu Gutachten, die klarstellten, wen diese Bilder zeigen und wo sie entstanden waren. Außerdem nahm das Gericht das Gutachten eines Psychiaters zur Kenntnis, der Thorsten Engelhard bescheinigte, pädophil zu sein. Damit konnte er nun nicht länger behaupten, er würde Kinder nicht unsittlich anrühren wollen, sondern nur geschwisterlich, wie er das bei den Ermittlungen nach Peggys Verschwinden immer wieder getan hatte.
Die Zuschauer bekamen auch nicht mit, wie der Staatsanwalt Engelhard nach seiner Vorgeschichte befragte – und wie wortkarg dieser antwortete. Als sich der Ankläger nach Peggy erkundigte, wiederholte Thorsten seine früheren Aussagen. Er habe Peggys Bild in einem Anhänger um den Hals getragen, weil er sich gut mit ihr verstanden und sie häufig besucht habe. Der Staatsanwalt wollte wissen, ob er sich früher schon Kindern sexuell genähert habe. Der Angeklagte lehnte sich zurück, grinste und antwortete dann sinngemäß: Das möchten Sie wohl gerne wissen, dazu sage ich aber nichts. Seine Neigung zu Kindern bestritt er nicht länger, er sagte zu, er werde sich einer Therapie unterziehen.
Schon am zweiten Prozesstag fiel das Urteil – sechs Jahre Gefängnis. Engelhard schluckte, als das Gericht die Strafe verkündete. Es war exakt das Strafmaß, das die Staatsanwaltschaft verlangt hatte.
Als die Richterin das Urteil verlas, war die Öffentlichkeit wieder zugelassen. Unter den Zuschauern – und das ist eine weitere Überraschung – saßen auch zwei Beamte der Kriminalpolizeiinspektion Bayreuth. Die beiden Polizisten hatten sich vor dem ersten Verhandlungstag bei der Richterin gemeldet und baten darum, auch die nichtöffentlichen Teile verfolgen zu dürfen. Sie durften und hörten zu ihrem Erstaunen, dass im Verfahren gegen Thorsten auch über den Fall Peggy gesprochen wurde und dass hier ein Mann vor Gericht stand, der von ihren Kollegen in Oberfranken damals verdächtigt worden war, etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun gehabt zu haben.
Der Grund, aus dem die Bayreuther Kriminalbeamten zum Prozess nach Halle gekommen waren, war indes ein anderer, nämlich ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen Thorsten Engelhard »wegen des Verdachts von Sexualdelikten«, wie der Sprecher der Bayreuther Anklagebehörde, Ernst Schmalz, uns auf Anfrage mitteilte. Worin dieser Verdacht genau besteht, wollte die Staatsanwaltschaft nicht mitteilen, aber wir haben es trotzdem erfahren. Ausgerechnet Thorstens Bruder-Onkel Maik Kaiser hatte ihn angezeigt:
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