Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Türkei-Spur nachzugehen. Die Staatsanwaltschaft ordnet ein Ermittlungsverfahren gegen Ahmet Yilmaz an. Per richterlichem Beschluss erhält die Polizei die Erlaubnis, Ahmets Handy überwachen zu lassen.
Aber von Anfang an verlaufen die Nachforschungen zäh und mühsam. Der anonyme E-Mail-Schreiber hatte behauptet, Peggy sei über Russland in die Türkei eingereist. Doch wie sollte sie von Lichtenberg nach Russland gebracht worden sein? Zumal man doch Straßensperren errichtet und sämtliche Autos kontrolliert hatte?
Egal. Die Soko Peggy nimmt Kontakt mit ausländischen Behörden auf. Aus Russland gibt es keine Antwort, dafür aber von einer der Behörden in Tschechien. Die dortigen Kollegen mutmaßen, Peggy sei über Prag in die Türkei gebracht worden.
Im Juli 2001 scheint es erneut ein Stück voranzugehen. Soko-Chef Herbert Manhart teilt in einem Schreiben an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit, er habe erfahren, dass sich Peggy in Elmabagi befinde, einem Ort in einer abgeschiedenen Bergregion im Südosten der Türkei. Peggy werde in einem Anbau neben einer Kirche versteckt. Diese Information habe er von einer tschechischen Fahndungseinheit erhalten, die wiederum hätten diese Neuigkeit von einem bulgarischen V-Mann. In schönstem Behördendeutsch heißt es: »Im Rahmen der bislang durchgeführten Ermittlungen wurde hier mitgeteilt, dass Peggy Knobloch von der Großfamilie Yilmaz in die Türkei verbracht worden sei.«
Manhart kündigt in seinem Schreiben gleich einen »Großeinsatz« an, eine konzertierte Durchsuchungsaktion. Während man in Deutschland die Wohnungen von Ahmet Yilmaz und dessen Verwandtschaft durchsuchen wolle, möge das BKA dafür sorgen, dass die türkische Polizei zeitgleich eine entsprechende Razzia in Elmabagi durchführe.
Das Ergebnis ist einmal mehr ernüchternd: Bei der Durchsuchung der Wohnungen des deutschen Yilmaz-Zweigs finden die Ermittler nichts, was eine Verwicklung der Familie in die vermeintliche Verschleppung des Mädchens in die Türkei bestätigt hätte. Und auch die türkischen Ermittler können keinen Erfolg verzeichnen – was ihre deutschen Kollegen zunächst aber nicht erfahren. Aus ungeklärten Gründen läuft der Bericht der türkischen Polizei erst Monate später bei der Soko Peggy ein.
Die Ermittler wollen dennoch nicht lockerlassen, suchen nach neuen Ansätzen. In einem Aktenvermerk heißt es: »Im Rahmen der Personenabklärung – Yilmaz ist türkischer Staatsangehöriger und ebenso wie seine Lebensgefährtin moslemischen Glaubens – erarbeitete die Soko einen Fragenkatalog, der unter ethologischen und ethnologischen Gesichtspunkten (Brauchtum, islamische Lebensweisen und Völkerkunde) u.a. dem Institut für Orientforschung an der Universität Erlangen vorgelegt und in mehreren gemeinsamen Besprechungen mit den dortigen Mitarbeitern abgearbeitet wurde.«
Wiederum verschwendete Zeit und Energie: »Auch dies erbrachte keine relevanten Erkenntnisse, insbesondere über ein mögliches Motiv des Yilmaz, das möglicherweise in unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Erziehung des Kindes hätte liegen können.«
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Peggy ist inzwischen ein halbes Jahr verschwunden. Nach wie vor gibt es nicht die geringste Spur auf ihren Verbleib. Die Hinweise auf Ahmet Yilmaz haben ins Leere geführt, die Beamten befragten immer wieder dieselben Zeugen – einfach deshalb, weil keine neuen hinzukamen. Aussagen wurden auf die Stimmigkeit kleinster Details abgeklopft, Vermutungen und Verdächtigungen als neue Spuren gefeiert und nach kurzer Nachprüfung enttäuscht verworfen. Etwa jener anonyme Hinweis, Peggy sei in der türkischen Stadt Kayseri gesichtet worden. Ein »älterer Mann namens Gümüs« habe »ein Mädchen bei Nachbarn als seine Enkelin aus Deutschland« vorgestellt. Schnell stellte sich heraus, dass die beiden mit dem Fall Peggy nicht das Geringste zu tun hatten.
Als besonders erschwerend kommt hinzu, dass die Beamten bislang keinen einzigen Sachbeweis gefunden haben. Faserspuren, Kleidung, Schulranzen – nichts. Vom lebenden oder toten Körper des Mädchens ganz zu schweigen. Peggy scheint wie vom Erdboden verschluckt.
Im Oktober 2001 ist die Soko mit ihrem Latein am Ende. Die Untersuchungen gegen Ahmet Yilmaz und seine Familie werden eingestellt, die Unterlagen abgelegt. Im entsprechenden Vermerk heißt es: »Die durchgeführten Ermittlungen erbrachten bis dato keinen zwingenden Hinweis, dass die Personen mit dem Verschwinden der Peggy zu tun haben
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