Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
entblößt und onaniert hatte. Auch war er von Zeugen bei dem Haus in der Brauhausstraße gesehen worden. Der Verdacht: Ulvi könne auch Peggy bedrängt, sie möglicherweise sogar umgebracht und in ebenjenem Haus vergraben haben.
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Ulvi Gürcan Kulac kam am 13. Dezember 1977 in Naila zur Welt. Er wurde außerehelich geboren und war das fünfte Kind von Elsa Kulac, die gerade in Scheidung lebte. Sein türkischstämmiger Vater Erdal und seine Mutter Elsa heirateten am 12. April 1979. Obwohl Elsa mit 39 Jahren keine junge Mutter mehr war, kam das Kind ohne Komplikationen und gesund zur Welt.
Im Alter von zwei Jahren und zwei Monaten erkrankte der Junge an einer Meningitis, kam ins Krankenhaus und musste fünf Wochen in der Kinderabteilung des Klinikums Hof stationär behandelt werden. Die Ärzte machten den Eltern keine falschen Hoffnungen. Ulvi würde bleibende Schäden behalten.
Elsa wollte sich dieser Diagnose mit aller Kraft widersetzen. Mühsam brachte sie dem Kind Buchstabe für Buchstabe bei, lehrte ihn über Jahre erst das Sprechen, dann – soweit möglich – ein bisschen Schreiben. In einem Brief an die Staatsanwaltschaft Hof vom 25. September 2009 wird sie später festhalten: »Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um meinen Sohn wieder lebensfähig zu machen. Jeder Schritt oder Buchstabe wurde gefeiert.«
Wenige Tage nach seinem sechsten Geburtstag, am 21. Dezember 1983, verunglückte die Familie mit dem Auto in der Türkei. Ulvi musste mit ansehen, wie seine ein Jahr ältere Schwester an der Unglücksstelle starb. Noch heute gerät er in Panik, wenn er die Sirene eines Rettungsfahrzeuges hört.
Kurze Zeit später wurde Ulvi nach einem Test in der Sonderschule Naila eingeschult, zwei Jahrgangsstufen später wechselte er ins Therapeutische Zentrum Hof. Nach Abschluss der Schulzeit besuchte er noch zwei Jahre die Werkstatt für Behinderte in Hof, verließ diese aber, weil er sich dort nicht wohl fühlte. Bei einer Spedition in Naila fand er eine Anstellung als Hilfsarbeiter, kündigte aber nach kurzer Zeit. Die Eltern sorgten nun wieder für seinen Unterhalt. Im Oktober 1987 hatte Elsa Kulac einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt, der ein Jahr später bewilligt wurde. Die Behörde bescheinigte, dass Ulvi in seiner körperlichen Bewegungsfähigkeit erheblich eingeschränkt sei und einer ständigen Begleitung bedürfe. Das Angebot, ihren Sohn in eine Einrichtung für betreutes Wohnen zu geben, lehnte Elsa Kulac ab.
Da seine Eltern das Lokal »Schlossklause« direkt an der Burgruine betrieben, bot es sich an, dass er dort als Hilfskellner den Betrieb unterstützte, was ihm offenbar ganz gut gelang. Er schenkte ein, servierte Essen, rechnete sogar ordnungsgemäß kleine Beträge bei den Gästen ab. Die Ortsansässigen legten ihm das Geld nach Möglichkeit passend hin. Nach eigenen Angaben kochte er sogar gerne. Von 1999 an war er darüber hinaus beim Sportverein TSV Lichtenberg als geringfügig Beschäftigter auf 315-DM-Basis angestellt. Die Arbeit machte ihm Spaß. Ein bisschen Taschengeld bekam er noch von Nachbarn, denen er regelmäßig beim Holzhacken half.
Seine Freizeit verbrachte er, indem er alleine durch den Ort »stromerte«, in Nachbarorte trampte, Gaststätten und Restaurants aufsuchte oder eine Diskothek. Er trank gern Bier, rauchte viel, hin und wieder einen Joint. Oft saß er auf einer Bank, hörte Musik von seinem Walkman und grüßte die vorbeifahrenden Autofahrer. Ulvi gehörte zum Ortsbild von Lichtenberg. Jeder kannte ihn, die meisten mochten ihn, beschreiben ihn als freundlich und anständig, als jemanden, der keiner Fliege etwas zuleide tun könne und älteren Damen ungefragt schwere Einkäufe nach Hause getragen habe. Eine Nachbarin sagt über ihn: »Ein lieber Kerl, hilfsbereit und fröhlich.«
Aber: Ulvi Kulac konnte auch schon mal lästig werden, vor allem, wenn er wieder einmal kein Geld hatte und die Lichtenberger um Geld, Zigaretten oder Bier anpumpen wollte. Doch wenn man ihn dann energisch verscheuchte, habe er sich ohne Murren getrollt.
Richtige Freunde hatte er aufgrund seiner Behinderung kaum. Von den Kindern und Jugendlichen wurde der große, plumpe Kerl mit dem runden Kopf zumeist gehänselt. Manchmal hat ihn das geärgert. »Wenn die Kinder ihm in den Arsch getreten haben, da hat er halt einen Schimpf losgelassen«, erzählte der ehemalige Bürgermeister des Ortes, Herbert Heinel, Journalisten. »Aber zurückgeschlagen hat er nie.«
Für Mädchen war Ulvi nicht
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