Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
erreichen sein«, so die trockene Einschätzung des Psychiaters.
Bei späteren therapeutischen Sitzungen, so Pappenberger, habe er mit seinem Patienten auch über die laufenden Ermittlungen gesprochen und dabei die Reaktionen und Stimmungen Kulacs genau beobachtet. Pappenberger gab an, dass Ulvi vor Verhörterminen immer sehr aufgeregt war und nicht schlafen konnte. In diesen Fällen habe er ihm ein leichtes Beruhigungsmittel (»z.B. Atosil«) verabreicht.
Derzeit allerdings wirke der Patient »entlastet, insofern also, da er erklärt hat, er habe diese Tat nicht vollbracht«. Ganz anders habe er sich verhalten, als das Mordgeständnis noch im Raum gestanden habe. »Nach dem Geständnis und den Begehungen der Tatorte war Herr Kulac doch sehr zurückgezogen, deprimiert und musste auch medikamentös behandelt werden.« Erst jetzt, nachdem er »die wahre Wahrheit« gesagt – also den Mord an Peggy widerrufen – habe, gehe es ihm wieder besser. Das war nicht gerade das, was die Beamten hören wollten.
Pappenberger führte weiter aus, dass Ulvi ihm gegenüber nie über den Mord und den in Rede stehenden Tatverlauf gesprochen habe. Alles, was er als Therapeut darüber wisse, habe er aus zweiter Hand erfahren. Aus erster Hand könne er nur berichten, dass Ulvi über »die Tat zu Hause« gesprochen habe. Er habe »mit der Peggy anscheinend Geschlechtsverkehr vollzogen«.
Wie das abgelaufen sei, habe Ulvi immer ungefähr gleichlautend geschildert: Die beiden seien in seinem Zimmer im Haus seiner Eltern gewesen. Als er auf die Toilette musste, sei Peggy ihm gefolgt und habe ihm beim Urinieren zugesehen. Anschließend sei er mit ihr in sein Zimmer zurückgegangen, habe sie ausgezogen und auf seinen Schoß gezogen. Dort hätten sie den Geschlechtsakt vollzogen, »wobei die Peggy zuerst gelacht, dann geweint habe«. Sie sei dann nackt die Treppe heruntergelaufen und habe gedroht, unbekleidet das Haus zu verlassen. Ulvi habe sie wieder eingefangen und »dafür gesorgt, dass sie wieder bekleidet war, und ließ sie dann nach Hause gehen«. Das jedenfalls habe Ulvi ihm, Pappenberger, erzählt.
Der Therapeut interpretierte diese Aussage auf ähnliche Weise wie Kröber: Weil Ulvi das »Kerngeschehen« immer gleich schildert und auch die gleichen Details nennt, sei es wahrscheinlich, dass der Vorfall »weniger erfunden und schon tatsächlich erlebt ist«. Ein Beweis, dass sich das alles auch so zugetragen hat, ist das allerdings nicht.
Pappenberger stellte im Verlauf seiner Arbeit mit Ulvi aber noch etwas anderes fest – nämlich einen auffälligen Drang nach Aufmerksamkeit. Dieser Drang motiviere Ulvi, immer wieder Geschichten »frei zu erfinden«. Als die Beamten Pappenberger fragten, was er von Ulvis Geständnis halte, das ja auch sehr detailreich gewesen war, antwortete der Psychiater zunächst: »Diese Aussage ist auch wieder sehr farbig und detailgetreu, so dass der erste Eindruck ist, dass hier die Wahrheit gesprochen wurde.« Dann aber schränkte er ein, dass Ulvi »sehr viele Sachen sehr detailgetreu erzählt, die aber der Wahrheit nicht entsprechen. Herr Kulac setzt sehr phantasievoll auch Lügengeschichten in Szene.« Daher sei er persönlich nicht in der Lage zu entscheiden, ob das Geständnis stimme oder nicht, so Pappenberger. Das Motiv für Ulvis Geschichtenerzählerei sei ein ums andere Mal, dass »er sehr wichtig genommen werden will und im Mittelpunkt stehen kann«.
So weit, den Mord an Peggy zu gestehen, scheint Ulvis Drang nach Aufmerksamkeit dann aber wohl doch nicht gegangen zu sein. Pappenberger sagte aus, weder ihm gegenüber noch anderen Mitarbeitern oder Patienten habe Ulvi davon etwas erzählt – mit einer Ausnahme: »Lediglich bekannt ist, dass er Fritz Hermann geschildert habe, dass er Peggy mit eigenen Händen umgebracht habe«, so der Therapeut, aber auch das wisse er nur vom Hörensagen.
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Fassen wir noch einmal zusammen: Ausgangspunkt für Ulvis spätere Geständnisse waren zunächst die Tathergangshypothese und später die Aussagen des V-Manns Fritz Hermann. Die Soko Peggy 1 hatte ihm seine Story nicht geglaubt und sie zu den Akten gelegt. Die Soko Peggy 2 dagegen hatte ihm seine Geschichte nicht nur abgenommen, sondern alles dafür getan, um Ulvi Kulac auf der Basis dieser Informationen zu einem Geständnis zu bewegen. Auf den ersten Blick mit Erfolg. Ulvi gestand den Mord an Peggy, wenn auch jedes Mal mit anderen Details. Die Verwertbarkeit dieser widersprüchlichen Geständnisse sollte
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