Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
und 13.10 Uhr gesehen. Peggy sei an diesem Tag bis 12.50 Uhr in der Schule gewesen, und aufgrund dessen, dass der Beschuldigte bereits um 12.55 Uhr am Henri-Marteau-Platz gesehen wurde, »muss davon ausgegangen werden, dass er die Schülerin ›abpassen‹ wollte«.
Weiter schreibt Geier, die Zeugin Claudia Ritter habe das Mädchen gegen 13.14 Uhr »auf Höhe des Friedhofs« gesehen. »Etwa eine Minute später« habe »eine Schülerin« Peggy dort aus dem Schulbus heraus gesehen.
Unmittelbar danach muss sie [Peggy] auf Ulvi Kulac getroffen sein. Er hatte Gleiches in seinen Vernehmungen angegeben. […] Zwar wollen einige Personen das Mädchen noch am Nachmittag gesehen haben, diese Beobachtungen wurden jedoch weitgehendst negativ beschieden.
Die einfache Begründung für diesen »negativen Bescheid« lautet, einige dieser Zeugen hätten Peggy ohne Schulranzen gesehen – aber das stehe dem »hiesigen Ermittlungsstand entgegen«. Denn:
Nach derzeitiger Kenntnis war Peggy auf dem Heimweg von der Schule, als ihr der Beschuldigte gegenübertrat. Sie hatte somit keine Möglichkeit mehr, die Büchertasche irgendwo zu deponieren. Somit ist als sicher anzunehmen, dass Peggy Knobloch nach dem Zusammentreffen mit dem Beschuldigten nicht mehr lebend gesehen wurde [im Zwischenbericht gefettet].
Abgesehen davon, dass dieser Bericht einige interessante Schlussfolgerungen enthält, die späteren Nachforschungen nicht standhalten sollten, wirft Geiers Vermerk gleich zu Anfang einige Fragen auf. Warum wurden die Akten, die er für Kröber zusammenstellte, für das Verfahren nicht benötigt? Warum sollten sie keinen Eingang in die Hauptakte finden? Und warum wurde Kröber mit unvollständigen Materialien versorgt?
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Trotz Geiers »Vorarbeit« beginnt Kröbers Arbeit mit Ulvi nicht unbedingt vielversprechend, jedenfalls nicht im Sinne der Ermittler und der Staatsanwaltschaft, die aufgrund des Geständnisses Anklage erheben wollte.
Am 22. August 2002 besucht der Gutachter zum ersten Mal das Bezirkskrankenhaus Bayreuth, um ein sogenanntes Explorationsgespräch mit Ulvi zu führen. Für den ist es die erste Befragung nach den drei Polizeiverhören, in denen er sich des Mordes an Peggy bezichtigt hatte. Als Ulvi nun erstmals Kröber gegenübersitzt, behauptet er gleich zu Beginn das Gegenteil – nämlich, dass er kein Mörder sei und Peggy nicht getötet habe. Dabei bleibt er auch bei den folgenden drei Gesprächen, die Kröber mit ihm führt.
Der Gutachter kommt nach der Lektüre der Aktenauswahl, die ihm die Polizei zur Verfügung gestellt hatte, und nach den persönlichen Explorationsgesprächen zu dem Schluss, Ulvi habe das, was er in seinen Geständnissen sagte, vermutlich weder erfunden, noch sei es ihm von anderen, z.B. Polizeibeamten, nahegelegt worden. Letzteres sei schlicht nicht möglich gewesen, weil die Ermittler bis zum 2. Juli gar kein Tatszenario gehabt hätten, so Kröber: »In Ermangelung eines der Polizei bekannten Tatortes und eines aus der Untersuchung des Opfers ableitbaren Tatgeschehens« habe kein Beamter dem Beschuldigten etwas suggerieren können. Das, so Kröber, ergebe sich aus den Vernehmungsprotokollen.
Eine Feststellung, die verblüfft und erneut die Frage aufwirft, ob der Gutachter korrekt gebrieft wurde. Denn tatsächlich besaß die Soko nachweislich eine schriftlich fixierte Tathergangshypothese. Auf ihrer Basis war auch das entscheidende Verhör vom 2. Juli 2002 vorbereitet worden. Kröber wusste offenbar weder davon, dass der Profiler Alexander Horn ein Tatgeschehen entworfen hatte, noch von der Rolle, die Fritz Hermann, Ulvis Mitinsasse in der Psychiatrie, bei der Entstehung des ersten Geständnisses gespielt hatte.
Kröber schreibt, seine Untersuchung spreche »für die Annahme, dass diese Angaben [die Ulvi in seinem Geständnis gemacht hat] in tatsächlichem Erleben begründet sind«. Das »tatsächliche Erleben«, argumentiert Kröber, könne man daraus ableiten, dass Ulvi sein Geständnis ausgesprochen detailreich erzählt habe. Inzwischen bestreite er zwar, Peggy ermordet zu haben, doch als er, Kröber, Ulvi gebeten habe, noch einmal nachzuerzählen, was genau er den Polizisten gesagt habe, habe dieser alles exakt wiedergeben können. Ulvis Schilderung »entspricht in allen wesentlichen Punkten dem [im Juli gemachten] Geständnis«, schreibt der Psychiater in der Kurzfassung seines Gutachtens. »Gerade angesichts der niedrigen Intelligenz des Untersuchten ist diese hohe zeitliche Konstanz
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