Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
noch das andere ist ein Beweis für die Schuld von Ulvi Kulac. Dennoch schildert Geier den Journalisten anschließend den Tathergang so, als sei jedes Detail hieb- und stichfest geklärt. Ulvi habe Peggy am 7. Mai 2001 umgebracht, weil er sie vier Tage vorher vergewaltigt habe und fürchtete, der sexuelle Missbrauch könne herauskommen. Ganz so, wie der Kriminal-Profiler Alexander Horn das schon vermutet hatte: Mord, um eine andere Straftat zu vertuschen. Ein klassisches Motiv.
So selbstsicher, wie er sich gab, mag sich Tschanett allerdings nicht gefühlt haben. Seine Anklageschrift hatte er noch längst nicht fertig. Und hinter den Kulissen dürfte es Debatten darüber gegeben haben, ob das, was er da vorlegte, wirklich für eine Verurteilung reichte. Denn im Oktober 2002 mühte sich sein Team immer noch verzweifelt damit ab, den mutmaßlichen Augenzeugen Felix Ludwig zu einer stimmigen Aussage zu bewegen. V-Mann Hermann, dessen Aussagen am Anfang der Argumentationskette standen, schien vor Gericht angreifbar. Ein Augenzeuge würde nicht nur diese Schwäche ausgleichen, sondern wäre ein brillanter Beweis, der für sich stünde. Aber den sollte es nicht geben. Wie wir wissen, fügte sich die Staatsanwaltshaft im Februar 2003 schließlich der Erkenntnis, dass Felix als Zeuge nicht taugte. Erst ein halbes Jahr nach der Pressekonferenz, bei der bereits vollmundig das Ende der Ermittlungen verkündet worden war, folgte schließlich die Anklageschrift.
Als sie bekannt wird, zeigt sich schnell, dass sich Politik und Ermittlungsbehörden an einem wichtigen Punkt geirrt haben. Zwar berichten einige Medien in großer Aufmachung über den Durchbruch im Fall Peggy, aber das Volk, jedenfalls in Lichtenberg, reagiert nicht so wie erhofft. Dem Rechtsfrieden, den ein Strafverfahren herstellen soll, kommt die Justiz mit der Anklage nicht näher. »Die haben doch nur einen Sündenbock gesucht, damit sie den Fall abschließen können«, beschreiben Lichtenberger ihre damalige Einschätzung. Wenn wir nachfragten, wer denn »die« seien, lautete die Antwort wahlweise: »die Polizei«, »das Gericht«, »die Politiker«, »die Medien« oder auch alle zusammen – also alle, die direkt oder indirekt mit dem Fall Peggy zu tun hatten. Die dafür verantwortlich waren, wie dieser Fall gelöst und wie darüber berichtet worden war. Natürlich gibt es auch in Lichtenberg Menschen, die an Ulvi Kulacs Schuld glauben. Aber es sind wenige.
Kapitel 20
Der Prozess
U lvi Kulac wird wegen achtfachen Kindesmissbrauchs, eines sexuellen Übergriffs auf Peggy Knobloch sowie deren anschließender Ermordung angeklagt. Ermittler und Staatsanwaltschaft sind davon überzeugt, den Richtigen gefunden zu haben. Der Rest scheint Formsache.
Doch der Prozess beginnt gleich mit einem Fehlstart. Nach nur sechs Verhandlungstagen platzt das Verfahren am 6. Oktober 2003 wegen eines Formfehlers. Das Gericht hatte einer Hilfsschöffin eine Einladung geschickt, die für eine Hauptschöffin gedacht war – offenbar nur eine Büropanne, aber eine, die später als Revisionsgrund getaugt hätte.
Die Kammer geht auf Nummer sicher, beendet sofort das Verfahren und setzt einen Termin für den Neustart fest. Peggys Mutter bemerkt gegenüber den Reportern auf dem Gerichtsflur, sie habe lange genug gewartet, da komme es auf die paar Wochen auch nicht mehr an.
Den zweiten Anlauf am 11. November 2003 läutet ein heftiges Wortgefecht zwischen Ulvis Anwälten und der Staatsanwaltschaft ein. Auf der Anklagebank – im Verhandlungssaal in Hof tatsächlich nur eine grob geschreinerte Holzbank – hockt Kulac und verfolgt stumm und mit ratlosem Blick das Spektakel. Ankläger und Verteidiger liefern sich ein juristisches Scharmützel über den zentralen Beweis, das Geständnis.
Die Frage, um die es geht, lautet: Darf es in der Gerichtsverhandlung verwendet werden oder nicht? Ein Punkt, den wir bereits erläutert haben: Ein Geständnis ist normalerweise nur dann als Beweis zulässig, wenn es im Prozess oder vor einem Ermittlungsrichter abgelegt wurde. Das ist der Staatsanwaltschaft natürlich klar, die daher zwei Dinge beantragt: Zum einen sollen die Polizisten als Zeugen gehört werden, die Ulvi damals vernommen hatten. Sie sollen vor Gericht bestätigen, was Ulvi in seinem Geständnis gesagt hatte – denn: Polizisten sagen per se die Wahrheit. Zum anderen verlangt die Staatsanwaltschaft, das Glaubwürdigkeitsgutachten des Berliner Psychiaters Kröber als Beweis zuzulassen.
Dagegen
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