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Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Titel: Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Jung , Christoph Lemmer
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Kulac hätten dem Angeklagten eingetrichtert, was er über sein Alibi sagen solle, erklärt ein Beamter. Vor allem Ulvis Mutter Elsa habe die Aussagen ihres Sohnes »frisiert«. Konkret geht es um die Aussage von Herbert Krüger. Er hatte behauptet, Ulvi mit dem Essen in der Hand zwischen 13.15 und 13.30 Uhr gesehen zu haben. Eine Uhrzeit, die ihm das Gericht nicht glaubt. Denn die Ermittler hatten ein Telefongespräch zwischen Elsa Kulac und deren Tochter abgehört. Darin sei es um den »Alibi-Zeugen« Herbert Krüger gegangen. Der habe von Elsa wissen wollen, um welche Uhrzeit er Ulvi getroffen habe, er müsse am nächsten Tag zur Polizei. Dieses Telefonat fand fast zwei Jahre nach Peggys Verschwinden statt. Bei seiner ersten Vernehmung im Mai 2001 hatte Krüger keinerlei Zweifel am Zeitpunkt des Treffens erkennen lassen.
    Das Gesprächsprotokoll wird im Gericht verlesen. Der Eindruck, den es erweckt, ist für Ulvi verheerend. Strafbar wäre eine solche Absprache, die das Gericht Elsa Kulac und Herbert Krüger unterstellt, nicht – laut Gesetz können zumindest Angehörige nicht belangt werden, wenn sie Beschuldigten helfen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Ulvis Glaubwürdigkeit aber wird damit empfindlich getroffen.
    Ähnlich zerpflückt wird später die Aussage von Bernd Nützel. Vor Gericht sagt er aus, Ulvi sei um 13.40 Uhr bei ihm erschienen. Das wisse er deshalb so genau, weil er um 13 Uhr mit der Arbeit begonnen habe. Er habe vier Fuhren Holz fertig gehabt, als Ulvi eintraf. Pro Fuhre brauche er zehn Minuten. Das Gericht überzeugt er damit nicht. Nützel habe die zeitliche Abfolge »nur geschlussfolgert«.
    »Kripo-Beamte und ein Videogeständnis belasten den Angeklagten«, schreiben Nachrichtenagenturen und Zeitungen über diesen Prozesstag.
    *
    In den Wochen danach verblassen die Eindrücke des Videos allmählich. Dazu trägt bei, dass der Prozess in eine merkwürdig unbeschwerte und beinahe unterhaltsame Phase eintritt. Im Gerichtssaal ist ein Reigen bunter Geschichten zu hören, die mehrere Zeugen im Februar und März des Jahres 2004 schildern. Die meisten dieser Geschichten handeln vom »wilden Kurdistan«, wie einer der Beisitzer spöttisch bemerkt. Aber der Fall ist ja auch zu verführerisch. Ein kleines, hübsches Mädchen ist seit Jahren spurlos verschwunden. Niemand hat einen Anhaltspunkt, was mit ihm passiert sein könnte. Noch dazu lockt eine hohe Belohnung. Alle möglichen Leute hatten berichtet, Peggy in Bordellen, auf Ausflugsdampfern und beim Spazieren durch alle möglichen Städte zwischen Pforzheim und Antalya gesichtet zu haben. Einige Urheber dieser Geschichten werden von der Jugendkammer Hof als Zeugen gehört. Das ist insofern erwähnenswert, als Zeugen, die zum Fall Peggy tatsächlich etwas Glaubwürdiges beizutragen gehabt hätten, nicht geladen waren – wie die beiden damaligen Schulkameraden Sebastian Röder und Jakob Demel. Aber so gering der Informationsgehalt der Verschwörungs-Zeugen ist, so hoch ist immerhin ihr Unterhaltungswert. Einige dieser Zeugen hat die Staatsanwaltschaft geladen, andere die Verteidigung.
    Zu den Zeugen der Verteidigung gehört Josef Seibert, ein Kraftfahrer aus dem Saarland. Ulvis Anwälte hatten ihn Anfang des Jahres 2002 ausfindig gemacht. Er erzählt vor Gericht, er habe zweieinhalb Jahre nach Peggys Verschwinden seinen Urlaub in der Türkei verbracht, und zwar im Küstenort Manavgat zwischen Antalya und Alanya. Am 24. November 2003 habe er dort auf dem Bauernmarkt eine Türkin mit zwei Mädchen gesehen. Eines davon sei blond gewesen und habe die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden getragen. Er sei nur wenige Meter entfernt gewesen, habe sogar Blickkontakt gehabt. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland habe er im Fernsehen einen Bericht über die verschwundene Peggy gesehen. Seitdem hege er keinen Zweifel daran, dass sie das Mädchen vom Markt gewesen sei.
    Die Richter legen dem Kraftfahrer mehrere Fotos von Peggy vor; er bleibt bei seiner Aussage: Ja, das Mädchen vom Markt sei eindeutig Peggy gewesen.
    Anwalt Schwemmer attackiert die Staatsanwaltschaft daraufhin mit der Forderung, angesichts dieser Aussage seien neue Ermittlungen nötig. Staatsanwalt Heindl antwortet pflichtschuldig, seine Behörde werde Kontakt mit den türkischen Ermittlern aufnehmen. Ob er das je getan hat, sollte später niemanden mehr interessieren. Das Gericht jedenfalls erklärt: »Die Jugendkammer ist davon überzeugt, dass das vom Zeugen S. in der Türkei

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